Solche persönlichen Hintergründe Ihrer Arbeit kannte ich bisher kaum – für mich ist immer das Formale stark im Vordergrund gestanden.
Viele Sachen haben ihren Ursprung in meiner Vergangenheit. Aber ich bin keine, die aus ihrer Biografie schöpft, um Kunst zu machen. Die Kunstwerke kommen ja immer von irgendwo her – von meinen Intentionen, meinem Charakter, meinem Gestaltungswillen.
In Ihrem Werk finden sich aber doch überraschende Dinge – etwa die Zeichnung „Die Wünsche eines Kindes“ aus 1972. Da hängt eine Frau am Galgen, und ein Kind sitzt daneben und spielt Klavier. Was hat es damit auf sich?
Das war eine Zeit, wo ich mich stark mit Fragen der Identität beschäftigt habe. Ich habe gern Klavier gespielt, und da habe ich dann diese kleine Serie von Kinderzeichnungen gemacht. Da kommt auch eine erwachsene Person vor, die am Luster hängt – das muss aber nicht die Mutter sein, es könnte auch eine Tante oder ein Fantasiebild sein. Es ist halt irgendjemand, der an etwas zerbrochen ist.
Die häusliche Repression war ein großes Thema für Sie und die ganze feministische Avantgarde der 1970er-Jahre. Was hat sich Ihrer Ansicht nach seither verändert?
Es ist sicher heute vieles anders. Die Kleinfamilie ist irgendwann nicht mehr der Punkt gewesen, um den sich alles dreht. Es wäre auch nicht zu halten gewesen, weil ja viele Paare auseinandergegangen sind. Mit der Kleinfamilie hat es angefangen, weil es nach dem Krieg im Wiederaufbau darum ging, einen Besitz zu erreichen. Da kann man nicht mit mehreren Familienmitgliedern jonglieren, da musste ein Paar mit den Verwandten daran arbeiten. Später ist die Kleinfamilie mehr zur Patchworkfamilie geworden, und wenn das eine gute Patchworkfamilie ist, ist das ja auch in Ordnung. Es wird vieles versucht, dem gerecht zu werden – etwa Häuser zu bauen, wo Großeltern und die Familien zusammen, aber in eigenen Bereichen wohnen können. Aber es ist trotzdem nur ein Regulieren, weil es in der Gesellschaft die Freizügigkeit des Zusammenlebens noch nicht gibt.
Haben Sie ein ideales Familienbild?
Es ist schwer, das in ein paar Sätzen zu sagen. Aber das Ideale wäre, dass niemand diskriminiert wird. Weder das Kind, noch die Mutter, noch der Vater. So weit sind wir aber noch nicht. Wir müssen da auch die Migranten und Zuwanderer einbeziehen, die gibt es ja nicht erst seit 20 Jahren, sondern seit Jahrhunderten – Österreich war immer schon ein gemischtes Land, und das müsste man jetzt genauso mitbedenken. Momentan ist die Haltung ja, dass diese Leute draußen bleiben sollten.
Wohin entwickelt sich die Gesellschaft unter der aktuellen Krise?
Momentan haben wir nicht eine Entwicklung der Offenheit – durch all die Maßnahmen, die zum Teil natürlich richtig waren, hat sich alles wieder zu einem geschlossenen System und zur Kleinfamilie entwickelt. Das sieht man ja an der Problematik, wann ein Kind von geschiedenen Eltern zum einen und zum anderen Elternteil gehen kann. Da ist es richtig auffällig geworden, wie schwer das zu regeln ist.
Wie nehmen Sie die Art und Weise, wie sich junge Frauen heute inszenieren, wahr?
Frauen entsprechen heute vielen Bildern. Aber das moderne Frauenbild ist natürlich perfekt: Gute Figur, schön angezogen, einen eigenen Beruf, Kinder und verheiratet. Das ist natürlich eine wahnwitzige Selbstausbeutung. Es wäre wohl am besten, wenn man diese Anforderungen partnerschaftlich lösen kann, aber bei Geschiedenen oder Alleinerziehenden ist das alles schon wieder schwieriger. Das sind alles Modelle, an denen man einfach noch arbeiten muss, damit es gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Bezahlungen gibt. Da sind wir noch immer weit entfernt davon. Ich bin neugierig, ob all die Frauen, die so hoch gelobt wurden, weil sie ihren Dienst während dieser Pandemie gemacht haben, jetzt alle besser bezahlt bekommen. Es müsste so sein.
Sie selbst haben – etwa mit Ihrem Künstlernamen, den Sie als Wortmarke schützen ließen – stark auf ihr geistiges Eigentum gepocht. Ist es Ihnen wichtig, da ein Territorium abzugrenzen?
Ja. Ich habe schon als Kind gespürt, dass ich mein Territorium abgrenzen und so erweitern muss, wie ich es möchte. Später, als ich mir den Künstlernamen erfunden habe, war mir klar, dass das wie eine Marke ist. Wichtig war, VALIE EXPORT in Versalien zu schreiben – das Sichtbarmachen war das Ziel.
Ich musste diese Großschreibung in so mancher Redaktionskonferenz begründen.
Ja, komisch, nicht? OMV schreibt man aber auch nicht klein.
Die Praxis des Absteckens und Verteidigens ist aber meist männlich konnotiert.
Ja. Aber es steht mir auch zu. Alle Geschlechter haben ihre Territorien und sollen sie auch verteidigen.
Infos zu Leben und Werk
VALIE EXPORT wurde am 17. Mai 1940 als Waltraud Lehner in Linz geboren. In den 1960er-Jahren wurde sie mit öffentlichen Aktionen bekannt, die aber nur einen Teil ihres Werks ausmachen. 1980 vertrat EXPORT (mit Maria Lassnig) Österreich bei der Venedig-Biennale – die Galerie Ropac präsentierte Werke von dort zuletzt in London. Zum 80. Geburtstag zeigen das Landesmuseum OÖ und das Lentos in Linz Hommagen. Auch die Albertina Modern präsentiert EXPORT-Werke in "The Beginning", ihrer Überblicksausstellung zur österreichischen Kunst zwischen 1945 und 1980, ab 27. 5. Weitere Infos: www.valieexport.at
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