Valerie Pachner: "Immer ein bisschen Bauch einziehen"
Das österreichische Filmfestival Diagonale eröffnet Dienstagabend in Graz mit Marie Kreutzers Psychodrama „Der Boden unter den Füßen“ (ab Freitag im Kino). Die famose Valerie Pachner, 1987 in Wels geboren, spielt darin eine ehrgeizige Unternehmensberaterin, die in Deutschland steile Karriere macht. Als ihre schizoide Schwester (Pia Hierzegger) in Wien in die Psychiatrie eingeliefert wird, gerät ihr Leben außer Kontrolle.
Der Boden unter den Füßen
KURIER: Frau Pachner, Sie spielen eine Unternehmensberaterin namens Lola, die sich durch sehr viel Arbeit und sehr viel Work-out diszipliniert. Sieht diese Rolle nur so anstrengend aus oder war sie es auch?
Valerie Pachner: Es war tatsächlich so, dass ich die Rolle von Anfang an sehr körperlich begriffen habe. Was Anspannung und Anstrengung betrifft, habe ich mir eine Art Korsett vorgestellt: Lola, die Hauptfigur, hat ihre Abläufe und Handgriffe so genau parat, als würde sie durch ein Video- oder Computerspiel gehen. Dazu kommt das strenge Bürokostüm, das ebenfalls sehr uniformiert wirkt und einen dazu bringt, immer ein bisschen den Bauch einzuziehen. Im Laufe der Dreharbeiten habe ich gemerkt, dass ich ganz oft den Kiefer angespannt habe – und das ging dann auch noch nach dem Dreh weiter. Freunde von mir meinten zu mir: „Hey, du musst aufpassen, dass du keinen Tick kriegst. Deine Kiefer sind immer am Arbeiten.“ (lacht) Auf jeden Fall hat sich die Anspannung der Rolle auch körperlich niedergeschlagen.
Wie bereitet man sich auf eine Rolle als Unternehmensberaterin vor? Konnten Sie diese Berufswelt recherchieren?
Ich konnte mich natürlich nicht als kleines Mäuschen in eine Unternehmensberatungsfirma einschleichen. Aber ich hatte Glück. Ich war auf Urlaub in Thailand – mein erster Urlaub nach zwei, drei Jahren – und habe dort in einem abgeranzten Backpacker-Hostel mehrere ehemalige Unternehmensberater getroffen. Die waren in meinem Alter und hatten schon gekündigt, sich eine Auszeit genommen oder sind überhaupt ausgestiegen. Mit denen habe ich mich unterhalten.
Hatten sie ein Burn-out oder waren sie schon so reich?
Sie litten nicht unbedingt an Burn-out, aber sie hatten einfach genug von dieser Arbeit und fanden sie total scheiße. Sie haben diese Arbeitswelt und deren Prinzipien, nach denen sie funktioniert, total abgelehnt.
Die Unternehmensberaterin, die Sie verkörpern, tritt der Belegschaft gegenüber sehr nett auf, ist aber dazu engagiert, Leute hinauszuwerfen. Ihre gespielte Freundlichkeit ist in gewisserweise auch die Arbeit einer Schauspielerin. Wie haben Sie das empfunden?
Dieser Aspekt von Performance innerhalb dieses Berufes spielt tatsächlich eine große Rolle, gerade auch im Leben von Lola. Sie selbst lebt nach dem Prinzip, sehr viel geheim zu halten und viel von von sich selbst ganz tief zu vergraben, während sie nach außen hin schauspielert. Dieses Verhalten spiegelt sich in ihrem Job als „high performing consultant“ wieder – und das war für die Rollengestaltung insofern hilfreich, als sich das Unechte ihrer Arbeit auch in ihrem echten Leben wiederfindet. Nicht einmal ihre Freundin lässt sie an sich heran. Im Moment der Nähe stößt sie sie weg, weil das Risiko, sich zu öffnen, für sie zu groß wird. Dann würde sie sehen, wie viel Schmerz und Trauer in ihr steckt und dass sie nicht so stark ist, wie sie gerne wäre.
Lola ist die einzige Österreicherin unter vielen Deutschen in ihrer Abteilung – was ja auch ein bisschen das Thema des Films wird.
Auch das war hilfreich für mich, weil es ebenfalls in diese Kerbe des Nicht-bei-Sich-Seins schlug. Wenn man eine andere Sprache spricht, ist man ein kleines Stück weg von sich selbst. Nicht viel, aber ein bisschen.
Das Set-up von „Der Boden unter den Füßen“ – die Unternehmensberaterin, die im Ausland von ihrer Familie eingeholt wird – erinnert stark an „Toni Erdmann“. War das ein Referenzfilm für Ihre Arbeit?
Das ist so lustig, denn als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, dachte ich keine Sekunde an „Toni Erdmann“. Aber immer, wenn ich Leuten dann davon erzählt habe, meinten die: „Ach, das erinnert mich an ‚Toni Erdmann‘.“ Und ich so: „Häh?“ Ich finde, dieser Film hier erzählt etwas ganz anderes und hat auch eine ganz andere Stimmung. Insofern ist „Toni Erdmann“ keine Referenz.
Gab es Inspirationsquellen für Ihre Rolle?
Lustigerweise waren es die Bäume, die so komisch einsam und kalt zwischen den Pavillons auf der Baumgartner Höhe herumstehen. Die haben für mich eine Stimmung vermittelt, die für mich total Lolas Innenwelt widergespiegelt haben.
Sie haben in Honduras gelebt und mit Kindern, die viel Zeit auf der Straße verbrachten, ein Theaterstück entwickelt. Hat diese Erfahrung Ihren politischen Blick geschärft?
Dieses Jahr in Honduras hat mich sehr bewegt und mir die Zusammenhänge in der Welt bewusst gemacht. Ich hatte danach das Bedürfnis, die Welt zu retten, und habe Internationale Entwicklung studiert. Aber es gab dieses Ziehen Richtung Bühne – und diesen Weg habe ich dann eingeschlagen. Bis heute ist es mir wichtig, dass das, was wir auf der Bühne oder im Film tun, von gesellschaftlicher Relevanz ist – und nicht eitel.
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