US-Kultautor Don Winslow über Drogen, Trump und die Türkenbelagerung
Drogenfahnder Art Keller kommt mexikanischen Drogenbaronen erfolgreich in die Quere, und das hat natürlich Konsequenzen: Erst wird sein engster Mitarbeiter zu Tode gefoltert, dann wird auf ihn selbst die Jagd eröffnet.
„Tage der Toten“ ( „The Power of the Dog“) hieß Don Winslows 2010 veröffentlichter erster großer Bestseller, es folgte „Das Kartell“. Blutige, minutiös recherchierte Polit-Thriller, die die Geschichte des mexikanischen Drogenschmuggels verarbeiteten und sich enorm gut verkauften. Ihr Schöpfer arbeitete früher unter anderem als Privatdetektiv und Prozesssachverständiger – Erfahrungen, die ihm beim Schreiben zugutekamen. Die detailreich geschilderten Folterszenen beruhen auf Tatsachen. Insgesamt zweiundzwanzig Thriller hat Winslow geschrieben, alle wurden Bestseller, einige davon verfilmt, etwa „Zeit des Zorns“ von Oliver Stone.
Trotzdem hat Winslow (70) nun genug davon. Er will sich künftig einem anderen, vielleicht nicht weniger grausigen Geschäft widmen: Der Politik. Dieser Tage erscheint sein letztes Buch „City in Ruins“ auf Deutsch.
Ganz wird Winslow auch künftig nicht die Finger von Gaunern lassen. Zumindest hat er ein „Sopranos“-Häferl beim Zoom-Interview auf dem Tisch stehen. Es ist halb zehn Uhr vormittags, Winslow ist seit fünf Uhr wach und hat schon einige Stunden in seinem Büro in der Nähe von San Diego gearbeitet.
KURIER: Guten Morgen, Herr Winslow. Sie haben soeben Frank Sinatras „My Way“ auf X gepostet. Ein Hinweis, dass Sie endgültig durch sind mit dem Schreiben?
Don Winslow: Naja, nicht ganz. Ich glaube einfach, dass „My Way“ ein toller Song ist, der gut zu mir passt: Ich bin meinen Weg gegangen, obwohl er nicht immer einfach war. Man hat mir so oft gesagt, was ich alles nicht bin, dass ich fast vergaß, wer ich schon bin. Aber ich weiß natürlich, dass ich damit keine Ausnahme bin. Wahrscheinlich hören viele Autoren, dass sie es nie schaffen werden.
Wer hat Ihnen das gesagt?
Wer hat mir das nicht gesagt! Verleger, Agenten, Journalisten, PR-Leute. Alle haben das gesagt. „My Way“ eine Art, ihnen zu sagen: Seht her, ich hab’s doch geschafft.
Von wie vielen Verlagen wurden Sie anfangs abgelehnt?
Von 15 Verlagen. Ich erinnere mich an die Absagebriefe. Und als ich es endlich geschafft hatte, verlegt zu werden, brauchte es trotzdem sieben Bücher, bevor ich meinen Tagesjob kündigen konnte. Nachdem ich „Tage der Toten“ geschrieben hatte, hatte ich gerade einmal 37 Dollar auf der Bank. Es ist eine Falle: solange du kein Bestseller-Autor bist, haben deine Bücher keine hohe Auflage, also kannst du auch nicht viele verkaufen. Und genau das wird dir dann vorgeworfen.
Was waren denn Ihre Jobs, bevor Sie als Autor den Durchbruch schafften?
Ich hab zum Beispiel ein Kino geführt. Und in Afrika war ich lange Fotosafari-Guide. Bei Anti-Terror-Übungen hab’ ich auch gearbeitet, ich habe immer den Terroristen gespielt. Und ich habe Regie bei Shakespeare-Aufführungen für Highschool-Schüler geführt. Aber ich will mich nicht beschweren, der Anfang ist für die meisten Autoren hart, alle jammern.
Journalisten auch.
Ja, das kann ich mir vorstellen, wird ja immer schwieriger für Zeitungen. Für mich sind sie allerdings unverzichtbar. Ich lese jeden Tag in der Früh fünf Zeitungen.
Gedruckt?
Das gibt es hier, wo ich wohne, nicht mehr. Ich vermisse es, wie die Druckerschwärze der New York Times meine Finger verfärbte, als ich sie damals, als ich in New York lebte, auf Papier las.
Wie stellen Sie sich künftig Ihren Alltag vor, jetzt, wo Sie nicht mehr schreiben wollen? Werden Sie das Schreiben vermissen?
Ich werde immer schreiben und veröffentlichen. Aber keine Thriller mehr.
Ist politisches Engagement, das Sie ja jetzt schon betreiben, abendfüllend?
Ja, total! Und je näher wir zu den Wahlen kommen, desto intensiver wird es. Ich kommentiere sehr viel auf Social Media, ich poste nicht nur Sinatra-Songs. Meistens gebe ich politische Kommentare ab. Und mit dem Drehbuchautor Shane Salerno produziere ich Kurzvideos, die extrem erfolgreich sind, sie hatten mehr als 300 Millionen Aufrufe. Wir werden das noch intensivieren. In wenigen Monaten wird sich entscheiden, wie es mit unserer Demokratie weitergeht. Wenn Trump noch einmal gewinnt, ist sie ernsthaft in Gefahr.
Was, wenn Sie nicht erfolgreich sind? Wollen Sie auswandern?
Kann ich nach Wien kommen? Ich liebe Wien! Aber im Ernst: Ich bin nicht der Typ, der wegrennt, wenn es brenzlig wird. Ich werde nie aufhören, zu kämpfen.
Haben Sie von der jüngsten Wiener Spionageaffäre gehört? Die klingt ganz nach Stoff für einen Polit-Thriller.
Es steht mir nicht zu, das aus der Ferne zu beurteilen. Aber ja, ich habe davon gelesen. Die NY Times und die Washington Post haben darüber berichtet, und nachdem ich Wien sehr mag, interessiere ich mich für alles, was dort passiert. Ich lese übrigens gerade ein Buch über die Zweite Wiener Türkenbelagerung.
Ernsthaft? Sie setzen mit Prinz Eugen auseinander?
Ja, ich liebe es, Dinge zu erkunden, von denen ich keine Ahnung habe.
Oliver Stone hat einen Ihrer Romane, „Savages“, verfilmt. Er wird jetzt verdächtigt, Diktatoren Filme angeboten zu haben. Was sagen Sie dazu?
Puh, schwierig. Es gibt viele Geschichten über Oliver.
Sie sind als Sohn einer Buchhändlerin aufgewachsen. Was lesen Sie gerade?
Ich habe zuletzt alles von Turgenjew noch einmal gelesen. Und „Moby Dick“. Ich hatte vergessen, wie humorvoll dieses Buch ist!
John Irving hat sich gerade den letzten Satz aus „Moby Dick“ tätowieren lassen.
Das freut mich für ihn, ich mache das sicher nicht. Ich hatte unlängst ein merkwürdiges Erlebnis bei einer Lesung in Washington. Da kam doch tatsächlich ein Typ, der sich einen Satz aus einem meiner Bücher die ganze Wirbelsäule entlang tätowieren ließ! Das war vielleicht gruselig!