Urheberrecht: Das verändert sich nach der Abstimmung im Internet
Da sage noch einer, Politik auf EU-Ebene bewegt die Menschen nicht. In den Stunden vor der heutigen Urheberrechts-Abstimmung gab es, als Dauerfeuer an Aussendungen und Social-Media-Posts von Befürwortern und Gegnern, einen vehementen Kampf um die Deutungshoheit; Demonstrationen in Deutschland und Österreich; einen erneuten Appell von europäischen Medien, die Reform zu beschließen; und ordentliche Spannungen innerhalb der Fraktionen des EU-Parlamentes.
Die Aufregungszuspitzung ist das Finale einer mit allen Mitteln geführten Lobbying-Schlacht. Es geht um viele Milliarden Euro, die derzeit an die großen Plattformen wie YouTube, Google, Facebook fließen, deren Ursprung aber das Schaffen europäischer Künstler und Medien ist. Ein größerer Teil dieses Geldes als bisher sollen nach einer Gesetzesreform bei den Vertretern der Urheber – Verlage, Verwertungsgesellschaften – bleiben.
Dementsprechend groß war der Einsatz in den vergangenen Monaten auf beiden Seiten: Die US-Konzerne schickten ihre Lobbyisten – und natürlich auch allerlei eMails und andere Kampagnen – nach Brüssel. Und auch die großen Verbände aus Kultur und Medien warfen sich in die Schlacht.
Der verbale Diskussionseinsatz war hoch wie kaum in einem anderen Bereich: Die jeweiligen Vertreter schilderten die Meinungsfreiheit als bedroht und sahen Zensur am Horizont – oder auch das Wohl der freien Presse und der europäischen Kultur in Gefahr.
Was auf dem Spiel steht
Mit dem Ergebnis, dass bis wenige Stunden vor der Abstimmung noch offen war, wie diese ausgeht. Bis zuletzt waren jedoch einzelne Passagen derart umstritten, dass für Dienstag alles möglich schien. Neben Zustimmung und Ablehnung zur gesamten Reform wurde auch das Streichen von einzelnen, besonders umstrittenen Artikeln ins Spiel gebracht.
Insbesondere eine Formulierung stand im Zentrum: der als „Artikel 13“ bekannt gewordene Passus. Nach diesem sollen YouTube, Facebook und Co. künftig verhindern, dass Musik oder Filme, die bereits einmal als urheberrechtlich geschützt erkannt wurden, ungerechtfertigt erneut hochgeladen werden.
Die Gegner knüpfen hieran ein Bedrohungsszenario in Hinblick auf Onlinezensur. Und mit diesem Schreckensbild erlangten sie die Aufmerksamkeit vieler Parlamentarier, die um die jungen Wähler fürchteten. Noch dazu, weil am Wochenende eine ungute Diskussion über angeblich bezahlte Demonstranten plötzlich das Finale der Debatte prägte.
Streichfrage
Schlussendlich machte im Parlament die Option die Runde, den Artikel während der Abstimmung zu streichen. Dies verlangten etwa einige deutsche Politiker (in Deutschland gab es am Montag ordentlich Politstreit).
Österreichs Medienminister Gernot Blümel appellierte, die Mandatare sollten sich „nicht einreden“ lassen, „dass eine Streichung von Artikel 13 im Rahmen der Abstimmung eine Möglichkeit ist“. Auch die Vertreter von Künstlern und Medien hielten dagegen. Insbesondere die am Onlinewerbemarkt unter die Räder gekommenen Medien hoffen, via Urheberrecht zu ihnen zustehenden Finanzmitteln zu kommen. 263 prominente Unterzeichner aus 27 EU-Staaten fanden sich für eine dementsprechende Forderung. Doch die Stimmen gegen die Reform mehrten sich: So riet nicht zuletzt der Dachverband der Europäischen Konsumentenschützer den Parlamentariern, den Artikel 13 abzulehnen.
Szenario eins: Die Reform wird beschlossen
Wird die Urheberrechtsform am Dienstag im EU-Parlament beschlossen, beginnt ein langer Prozess – mit völlig offenem Ausgang.
Die Befürworter der Reform dürfen sich freuen: Ihnen würde mit der Regelung, die EU-weit in nationales Recht gegossen werden muss, ein Instrument in die Hand gegeben werden, große Plattformen an die Kandare zu nehmen. Und Medien könnten Lizenzen für ihre Inhalte ausverhandeln – und ihren Anteil an den Werbeeinnahmen einfordern.
YouTube, Facebook und Co wären gezwungen, mit Künstler- und Medienvertretungen Lizenzvereinbarungen zu treffen und diese so an ihren Einnahmen teilhaben zu lassen. Weiters müssten sie verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte wiederholt hochgeladen werden. Genau hier knüpfen die Gegner ihre größte Kritik an: Dies soll, so heißt es, nur über technologische Maßnahmen, sprich: Filter, möglich sein. Diese würden gleich beim Hochladen überprüfen, ob jemand Rechtsanspruch auf diesen Inhalt erhebt – und in diesem Fall ein Hochladen verhindern. Die Gegner fürchten hier Zensur.
Wie diese Prüfung erfolgen soll, soll jedoch erst in Gesprächen zwischen Kommission, Plattformen und Rechteinhabern geklärt werden. Ziel ist es, einen „best effort“, also eine bestmögliche Anstrengung zu unternehmen, dass kein geschütztes Material abrufbar ist. Dieser Effort soll aber rechtlich erlaubte Nutzungen – Parodie, Satire etc. – nicht beeinträchtigen.
Reformprobleme
Auch in diesem Prozess werden die Plattformen ihre monopolartige Finanzmacht ausspielen – und wohl mit einer Einstellung ihrer Dienste drohen, wie dies etwa schon in Spanien durchgezogen wurde. Dies ist wegen der Größe des EU-Marktes aber unwahrscheinlicher. Wahrscheinlicher ist, dass der Spielraum der Reform bis zum Anschlag ausgenützt wird – und die Plattformen sich großflächig Gratis- und Pauschallizenzen ausstellen lassen. Dann wäre die Reform zwar beschlossen, aber ad absurdum geführt.
Oder die Reform wird streng ausgelegt, Inhalte würden geschützt und Lizenzen erworben werden. Dann würde erwartungsgemäß ein Anlass – eine Fehlfilterung rechtmäßiger Inhalte etwa – gefunden werden, um die Regelung höchstgerichtlich überprüfen zu lassen.
Teillösungen
Wird die Reform heute zum Teil beschlossen – etwa ohne die umstrittensten Artikel –, dann müsste sie als Ganzes neu bewertet werden – auf die Umsetzbarkeit hin und auf den Nutzen.
Szenario zwei: Die Reform wird abgelehnt
Wird die Urheberrechtsform am Dienstag im EU-Parlament zur Gänze abgelehnt, dann ist sie auf lange Sicht gestorben. Denn nach der EU-Wahl müsste der Prozess – der Jahre dauert – wieder von neuem beginnen.
Was dann passiert? Vorerst einmal: Nichts.
Die bestehenden Regelungen bleiben aufrecht. Die Gegner der Reform dürfen sich freuen: Es können weiter Kulturprodukte wie Musik und Filme auf YouTube oder Facebook hochgeladen werden, ohne dass die jeweilige Plattform dafür geradestehen muss. Es fließen weitere Milliardeneinnahmen unversteuert an die Plattformen.
Und Google kann weiterhin Traffic an die Medienplattformen weiterreichen – den allergrößten Teil des Online-Werbemarktes aber einstreifen und die Medien dadurch am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Das Resultat bisher ist ein Blutbad im Journalismus. Im monopolhaft kontrollierten Online-Werbemarkt lässt sich für die Medien weiterhin kein nachhaltiges Geschäftsmodell ausformulieren. Wenn diese weitere Spar- und Abbaumaßnahmen treffen müssen, freuen sich insbesondere die Mächtigen. Und die großen Plattformen: Sie wären in ihrem Geldsturm („money grab“) auf die europäischen Urheber bestätigt.
Die Reformer
Ein Scheitern der Reform ist nicht zuletzt auch den Reformern anzulasten. Axel Voss (EVP), der die Reform federführend ausformulierte, hat es den Gegnern leicht gemacht: Er hat offen signalisiert, von der Materie selbst kaum Ahnung zu haben. Zuletzt verfing man sich noch dazu in einer sinnlosen Debatte über angeblich bezahlte Demonstranten gegen die Reform. Das Scheitern der Reform ist aber auch einer Gegnerschaft anzulasten, die die technologische Unsicherheit der Parlamentarier in-strumentalisierte, mit Hilfe der Plattformen Schreckensszenarien aufbaute und jede „Einmischung“ des Gesetzgebers ins Internet ablehnt. Und, wie in Brüssel immer, auch brutaler Lobbyarbeit.
Teillösungen
Sollte das Parlament die Reform heute zum Teil ablehnen (etwa den Artikel, der die „Upload-Filter“ nahelegt), müssten die EU-Staaten dem neuen Text anschließend wieder zustimmen. Andernfalls müssten Parlament und EU-Staaten erneut verhandeln. Die Reform wäre auf die lange Bank geschoben. Dennoch könnte sich in absehbarer Zeit in der EU Entscheidendes ändern: Ein erwarteter Entscheid des Europäischen Gerichtshofs könnte Plattformen wie YouTube für die hochgeladenen Inhalte haftbar machen.
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