An der Wiener Staatsoper war er zuletzt in der aktuellen Spielserie von Modest Mussorgskys Oper zu erleben. Seit neun Jahren zählt Boris Godunow zu seinen Paraderollen. „A Boris to die for“ schrieb der Korrespondent der New York Times über Tsymbalyuks Rollendebüt in München 2013. Regelmäßig tritt er an den bedeutendsten Opernhäusern auf, von der Metropolitan Opera in New York bis zu Mailänder Scala.
Die Eltern sind "zu alt, um zu fliehen"
Dann aber kam der 24. Februar, Putins Krieg gegen die Ukraine. Seither sei es schwer und schmerzhaft für ihn aufzutreten, da er um seine Eltern und seine Freunde bangen muss. Diese Düsternis erhellt in manchen Momenten eine gewisse Solidarität wie im März in Paris. Als er mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „No War“ zum Schlussapplaus von „Don Giovanni“ kam, applaudierte das Publikum heftig. Stimmt es, dass er vor seinem Auftritt in Wien seine Eltern selbst aus Odessa gebracht hat? „Meine Eltern sind noch in der Ukraine, sie sind zu alt, um zu fliehen“, stellt er im KURIER-Gespräch klar. Dann wendet sich das Gespräch wieder dem Operngeschehen zu.
Hat sich sein Blick auf seine Parade-Rolle, Boris Godunow, seit Ausbruch des Kriegs verändert? Was bedeutet es, einen russischen Herrscher, noch dazu einen Mörder und noch schlimmer einen Kindsmörder darzustellen? Boris ließ den rechtmäßigen Thronfolger im Kindesalter ermorden.
Das sei nach wie vor großartige Musik von einem genialen Komponisten, antwortet er ohne Umschweife.
Was sagt er zu den Russland-Boykott-Bestrebungen in der Kultur? Manche Häuser in Deutschland wollen keine russischen Komponisten mehr aufführen. In der Schweiz ersetzte ein Festival in St. Gallen Tschaikowskys „Jeanne d’Arc“ mit Verdis „Giovanna d’Arco“.
Das sei irrelevant und nicht notwendig, so Tsymbalyuk, denn großartige Kunst wie Musik, Tanz, Poesie, sowie visuelle Kunst würden über allem stehen, egal woher sie kommt.
Was aber ist mit russischen Künstlern? Müssen sie tatsächlich ständig ihre Distanz vom russischen Regime betonen? Würde er mit Anna Netrebko auftreten? „Soweit ich weiß, hat Netrebko das Putin-Regime offiziell aufgegeben, daher würde ich mich freuen, sie mit mir auf derselben Bühne zu sehen““, sagt Tsymbalyuk. Aber im Alltag sei der Umgang miteinander unter den Künstlern schwer. Aber „wir sind Künstler“, fügt er hinzu, „keine Politiker.“
Was aber können wir tun? „Uns weiter über den Krieg informieren und ihn nicht aus den Schlagzeilen verschwinden zu lassen. Wir brauchen die Stimmen aller Menschen, die gegen den Krieg sind. Wir alle haben schon Großartiges geleistet, bitte so weitermachen.“ „Nur“, fügt er mit Nachdruck hinzu, „wenn wir uns zusammenschließen, können wir diesen Wahnsinn stoppen.“
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