TV-Tagebuch: "Holler mit die Boller"

TV-Tagebuch: "Holler mit die Boller"
Das Duell Kurz/Strache war ruppig. Aber wer ist der bessere Freund von Viktor Orban? Unentschieden.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Der Fernsehabend beginnt mit einer Vorstellungsrunde der Schüler im Studio. Offenkundig keine Parteigänger, denn sie klatschen nur, wenn sie wirklich begeistert sind. (Also: Nie.)

Am Tisch:
Tarek Leitner, ORF
Sebastian Kurz, ÖVP
Heinz Christian Strache, FPÖ


„Sitzt hier die neue große Koalition?“, will Leitner zur Begrüßung wissen.

Kurz (aufgeregt): „An wen ist die Frage gerichtet?“

Leitner: „Sie ist an Sie beide gerichtet.“

Kurz (besteht den Geduldstest weiterhin nicht): „Wer darf anfangen?“

Leitner (spannt ihn weiter freundlich auf die Folter): „Wie Sie wollen.“

Kurz (hat auch hier echt Bock auf Erster sein): „Wenn Sie erlauben, Herr Strache.“

Der ÖVP-Obmann sagt, er habe „mit keinem Parteichef ein Problem“, überall ein „ordentliches Verhältnis“ und „es läuft dieser Wahlkampf für die neue Volkspartei ganz gut, auch für Herrn Strache.“

Strache (will aber nicht umarmt werden): „Auch der Herr Kurz ist ein sympathischer junger Mann, der aber auch seit sieben Jahren eine Regierungsverantwortung hat … ein dramatisches Versagen ... daran ist er auch zu messen.“ Aber, und das ist Strache so wichtig, dass er es statt der üblichen Floskeln zum Aufwärmen anbringt: Einer von Kurz’ Spendern sei auch an einem Startup beteiligt, das die Ehefrau des Bundeskanzlers mitgegründet hat. Klarer Fall: "Verstrickungen und Vernetzungen zwischen roten und schwarzen Interessen.“ Die Enthüllung landet in Folge auf irgendeinem Simmeringer Stammtisch und verendet. Keiner versteht sie.

Kurz (schlüpft in eine seiner beiden für den Wahlkampf herausgelegten Rollen): „Ich bin’s ja gewohnt in dem Wahlkampf mit Vorwürfen umzugehen. Wir tun fast nix anderes.“

Nach ein paar gegenseitigen Unterstellungen schlägt Leitner unverzagt vor: „Kommen wir zu einem Sachthema.“

Sachthema? Kein Problem. Schließlich gibt es die Flüchtlinge. Kurz lobt sich für die Schließung der Westbalkanroute und die Durchsetzung des Vollverschleierungsverbotes (das tatsächlich schon einige gefährliche Maskottchen aus dem Verkehr gezogen hat). Und, ganz wichtig: „Wenn sie mich den Gedanken fertig machen lassen.“ Die FPÖ sei ganz gut im Probleme aufzeigen, aber wenn es um die Umsetzung gehe, dann hapere es (möglicherweise ist dem Außenminister der Unterschied zwischen Regierungsamt und Opposition in den vergangenen Jahren wirklich nicht so ganz klar gewesen).

Strache findet, man müsse dem ungarischen Premier Viktor Orban danken (das geht außenpolitisch in eine interessante Richtung). Er erzählt, was Kurz nicht für eine düstere Vergangenheit als integrationsbewusster Politiker habe. So habe der gesagt, „der durchschnittliche Zuwanderer ist gebildeter als der durchschnittliche Österreicher.“ Strache, der die mittlere Reife ausgelassen hat, findet das einen Skandal.

Kurz - „Herr Strache, vielleicht lassen Sie mich kurz ausreden“ - trat aus seiner Sicht immer schon ein für „Integration durch Leistung.“ „Wenn Sie einmal Regierungsverantwortung haben, werden sie merken, wenn man sich mit Angela Merkel auf europäischer Ebene anlegt…“

Strache: „Sie sind auf dem Schoß von Frau Merkel gesessen!“

Kurz: „Das wird sie anders empfinden.“ (Die Diplomaten im Außenamt schlagen drei Kreuze, dass kein Deutscher diese Dialoge mit anhört.)

Jedenfalls, triumphiert Kurz: Norbert Hofer habe ihn gelobt.

Leitner will zu Sachthemen zurückkehren.

Strache wirft Kurz vor, dass die ÖVP Alexander Van der Bellen bei der Bundespräsidentenwahl eine Wahlempfehlung ausgestellt habe.“ Und an der Grenze seien 2015 keine Fingerprints genommen worden usw. usf.

Leitner (dessen journalistische Souveränität heute hart auf die Probe gestellt wird): „Das ist jetzt viel Vergangenheit.“

Kurz, dem die journalistische Souveränität Leitners herzlich egal ist: „Nein, Herr Leitner, das müssen Sie mich jetzt noch sagen lassen. Wir müssen Orban danke sagen.“

Strache: „Das ,Danke´ hab’ ich nicht gehört“

Leitner: „Wir sind jetzt wirklich viel in der Vergangenheit.“

Kurz: „Nein, Herr Leitner, Sie lassen mich jetzt.“

Leitner will wissen, was passiert, wenn die Grenzkontrollen wieder ausgesetzt werden.

Kurz: „Herr Leitner, Sie lassen mich jetzt was sagen“

Leitner (versucht weiter, eine Frage zu formulieren): „…wenn das ausläuft…“

Kurz (pfeift jetzt ganz auf den Moderator): „Also, Herr Strache, wenn sie ein Regierungsamt anstreben, müssen Sie sich mit den Fakten auseinandersetzen.“ Das verstörende Wettrennen über die Gunst eines autoritären EU-Problembären findet eine interessante Wende. Denn: Ungarn habe ihn gelobt, triumphiert Kurz.

Leitner erinnert geduldig an seine Frage.

Kurz (dürfte sich als Mischung aus Herkules und Mozart empfinden): „Ich geb' die Garantie ab, wenn ich Bundeskanzler bin, werde ich auf europäischer Ebene durchsetzen: Das Mandat von Frontex ändern, ordentlichen Grenzschutz.“

Strache (haut seine zwei besten Pointen hintereinander ins Kreuzeck): „Man muss ja sagen, dass die letzte rotschwarze Großtat das Versagen 2015 bei den Grenzkontrollen war.“ Dafür starte die Regierung den Bau einer Schutzmauer, den sie dann stoppe. „Und dann der Vollholler mit die Boller“.

Leitner will zum Brexit kommen.

Kurz (stapelt einander widersprechende Sinnzusammenhänge aufeinander): Das Publikum habe das Hickhack satt. Ergo: „Sie haben recht, wenn sie den Bundeskanzler kritisieren.“ Und: Die Parteien müssten parteiübergreifend zusammenhalten, um auf EU-Ebene etwas weiterzubringen. (Wie dieser pan-demokratische Anspruch mit der Auflösung einer Koalition zusammenhängt, wird die Politilogen noch ein paar Jahre beschäftigen).

Leitner schafft es endlich, das Thema Brexit anzuschneiden.

Strache camoufliert gut, dass die Briten derzeit panisch auseinander rennen, weil der Plan für danach fehlt und hofft auf „gute bilaterale Abkommen“. Man solle sich jedenfalls nicht hinreißen lassen, dem Empire „aus Rachegelüsten ein Kräutl nachzuwerfen“. Das Sprachbild blockiert für zehn Minuten die Rezeptoren der Zuschauer.

Kurz, der auch hier Europa eigenhändig retten will: „Ich war letzte Woche in Großbritannien und habe einen Termin mit dem Chefverhandler gehabt. Da ist keiner glücklich mit der Situation. so viel kann man glaube ich verraten“. Fix ist jedenfalls, dass Kurz das mitsamt einer Reform der EU hinbiegen will, wenn er a) Kanzler wird (hängt vom Wähler ab) und b) Österreich 2018 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird (das steht schon im Kalender) .

Kurz und Strache werfen mit dem Wort „Subsidiarität“ um sich, als handle es sich um einen Lottosechser.

Kurz hält Strache vor, dass er auf europäischer Ebene so tolle Verbündete wie Marine Le Pen oder die AfD habe. Beide raufen wieder drum, wer den besseren Draht zum autoritären Viktor Orban hat. Kurz: „Das letzte Mal, als Sie ihn treffen wollten, haben sie nicht einmal einen Termin bekommen. ich kann ihnen gern helfen, wenn sie wollen.“ Außenpolitisch nehmen wir uns aus dem Gesprächsverlauf mit: Orban hui, Merkel pfui.

Strache betont beleidigt, er habe Orban schon oft getroffen.

Beide überbieten sich in Folge mit Vorschlägen, wie man den Pensionisten helfen soll (die schauen ja auf ORF2 traditionellerweise häufiger zu als anderswo).

Sie verheddern sich in einer Auseinandersetzung über die kleinen und mittleren Pensionen, die Grenzöffnung von 2015 und die Pflege. Auch die Frauen kommen irgendwie vor. Kurz: „Ich glaube, dass wenn ich gewählt werde, ich die Kraft haben werde, dies alles zu….“

Leitner wird in Folge zwei Minuten lang von den streitenden Politikern ignoriert. Keiner versteht ein Wort.

Leitner (an Kurz): „Sie wollen eine Richtlinienkompetenz, also dass der Kanzler einem Minister etwas anschaffen kann.“

Strache schimpft, über „so autoritäre Mechanismen“. (Nein, er meint nicht Orban.)

Zum Schluss streiten beide drum, wer hinterfotziger sei und deswegen heimlich mit der SPÖ eine Koalition plane.

Einzelnen Schülern kommt sichtlich Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Studiobesuchs.
Zum Schluss klatschen alle noch einmal brav und dürfen wieder heim gehen. Es zählt hoffentlich für eine Freistunde.

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