Eine Auseinandersetzung mit dem strukturellen Antisemitismus, dessen sich der einst gefeierte Feschak bedient hatte, findet, wie bereits festgestellt, nicht statt. Aber die Installation „Lueger temporär“ bleibt ja auch nur ein Jahr lang: Sie wird durch eine permanente Kontextualisierung des Denkmals ersetzt. Und diese wird sich sehr wohl mit der rassistischen Rhetorik des populistischen Politikers zu beschäftigen haben. Denn die Aufgabenstellung lautet, wie Martina Taig, Geschäftsführerin von KÖR (Kunst im öffentlichen Raum Wien), erklärt: „Es gilt, Luegers Antisemitismus klar zu benennen und ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus in der Gegenwart zu setzen.“
Taigs Stabstelle wurde beauftragt, zusammen mit dem Kulturamt einen einstufigen Realisierungswettbewerb auszuloben. Die umfangreichen Unterlagen wurden kürzlich, Anfang November, den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern – samt eines Teams 15 an der Zahl – übermittelt. Die Liste birgt wenige Überraschungen, internationale Stars fehlen, ebenso Hans Haacke und Jochen Gerz, die prädestiniert wären; mit dabei ist aber u. a. die israelische Multimediakünstlerin Yael Bartana.
Und viele der Namen erklären sich von selbst: Martin Krenn leitete 2009 an der Angewandten den „Open Call zur Umgestaltung des Lueger Denkmals“; gewonnen hat Klemens Wihlidal mit dem Projekt „Schieflage“ (er kippte einfach das gesamte Monument, den Marmorsockel samt der Statue). Simon Wachsmuth beschäftigt sich mit Geschichte und blinden Flecken, Tatiana Lecomte, die ebenfalls an der Angewandten studiert hat, mit Fragen der Repräsentation.
Catrin Bolt schuf u. a. 2021 in Graz zu den Novemberpogromen 1938 die Installation „Lauftext“, die serbische Künstlerin Milica Tomić beschäftigte sich 2018 im Rahmen des Festivals „steirischer herbst“ mit dem NS-Außenlager in Aflenz. Und Eduard Freudmann legte mit seinen Mitstreiterinnen das Fundament des Josef-Weinheber-Denkmals bloß. Eingeladen wurden auch Ramesch Daha, die Präsidentin der Secession, Clegg & Guttman, Hans Schabus, Anna Jermolaewa, Anna Artaker, Heidi Schatzl und Ignasi Aballí.
Sie dürfen ihre Entwürfe bis Ende März 2023 abgeben, die Jurysitzung findet im Mai statt. Dass in dieser z. B. Mitarbeiter der Angewandten über Künstler der Angewandten abzustimmen haben, ist pikant.
Eine Dekonstruktion, also eine radikale Variante, ist verboten: Da das Lueger-Denkmal unter Denkmalschutz steht, darf es, so Martina Taig, „in seiner Substanz nicht angegriffen oder verändert werden“. Das heißt: „Kippen ist nicht möglich, Einhausen schon.“
Um den Teilnehmern aber einen größeren Gestaltungsspielraum zu geben, haben sie die Möglichkeit, die Kontextualisierung auf die Grünfläche rund um das Denkmal auszudehnen, also den Karl-Lueger-Platz einzubeziehen. Die Platane aber darf natürlich nicht angetastet werden.
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