"Code für Regimewechsel"
Ganz generell liegt die Stärke von Jermolaewas Kunst darin, in ihrer persönlichen Biografie und im Alltag ganz gewöhnlicher Menschen starke Symbole und Zeichen zu erkennen: Das ist auch der Kern ihrer Installation auf der Biennale Venedig, die äußerst klar und geradlinig geraten ist, ohne jegliche Ein- und Umbauten im Raum oder sonstige spektakuläre Setzungen auskommt - und doch hochaktuelle Fragen enorm stimmig auf den Punkt bringt.
Gemeinsam mit der Telefon-Installation im Hof (zwei Apparate sind übrigens funktionstüchtig) standen der Künstlerin und der Kuratorin Gabriele Spindler fünf gesonderte Räume zur Verfügung. Dominant ist die extra für Venedig geschaffene Arbeit "Rehearsal for Swan Lake", im Wesentlichen ein Film, der Ballettänzerinnen bei einer Probe zu Tschaikowskys berühmtem Ballett zeigt. Die ukrainische Tänzerin Oksana Serheieva, die 2022 nach Wien floh und bei Jermolaewa Aufnahme fand, erarbeitete die Choreografie mit und tanzt zu ausgewählten Zeiten auch selbst im Pavillon.
Der Hintergrund des Werks ist, dass das Sowjet-Fernsehen immer dann, wenn gerade ein Machtwechsel passierte, "Schwanensee" in Dauerschleife sendete - Jermolaewa erlebte dies, etwa nach dem Tod Breschnews 1982, selbst mit. Die Tänzerinnen im Film proben nun dezidiert für die Ablöse Putins. "Viele Leute, die ich kenne, sagen: Hoffentlich hören wir bald ,Schwanensee' im Fernsehen", erklärt Jermolaewa.
Blumen für den Wandel
In den übrigen Räumen sind Werke zu sehen, die Jermolaewa bereits in anderen Kontexten realisierte: Etwa das Arrangement von Blumen, von denen jede einzelne für eine Revolution steht, die gewaltfrei vonstatten ging: Nelken erinnern an den Putsch gegen die Diktatur in Portugal 1974, ein Orangenbaum an die "orangene Revolution" in der Ukraine 2004, Kornblumen an die - fehlgeschlagene - Revolution in Weißrussland 2006. "Die Blumen repräsentieren das, wovor sich autoritäre Regime am meisten fürchten", sagt Jermolaewa. "Sie haben unglaubliche Sprengkraft".
Jermolaewa setzt auf Subtilität
Bei alldem ist der österreichische Biennale-Beitrag alles andere als laut, er trommelt seine Botschaft nicht nach außen, sondern setzt auf die Bereitschaft, Subtilität zu erkennen. Die Räume des Pavillons lassen sich, flankiert mit einfachen, klaren Erklärtexten, dennoch schnell abschreiten und begreifen, was im Gewimmel des Kunstfestivals keine unwichtige Qualität ist.
Ob die Saat in der Vielfalt der Eindrücke aufgeht? Wer Jermolaewas Arbeit kennt, hat vielleicht selbst die Erfahrung gemacht, dass einige Symbole, Bilder und Gedanken sich im Gedächtnis hartnäckiger festsetzen, als man das anfänglich vermutet hatte. In seiner Klarheit und Direktheit ist der diesjährige Pavillon jedenfalls stärker und näher am Zeitgeschehen als so manche Beiträge früherer Ausgaben, die (nicht zuletzt im Sinne einzelner Künstler- und Kuratorenkarrieren) sehr viel wollten.
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