"Ma Folie": Tote Tauben statt Liebesglück

Die Psychotherapeutin Hanna (Alice Dwyer; oben) verliebt sich auf den ersten Blick in Yann (Sabin Tambrea). Doch die Liebe schlägt bald in Wahn um: „Ma Folie“ 
Ein Liebhaber wird zum Stalker: Spielfilmdebüt der österreichischen Regisseurin Andrina Mračnikar.

Ein Rasiermesser schneidet durch den Augapfel einer Frau – in Luis Buñuels Meisterwerk "Ein andalusischer Hund" von 1929. Bis heute hat diese Szene nichts von ihrem haarsträubenden Effekt eingebüßt. Noch gruseliger wirkt sie aber, wenn man sie als iPhone-Filmchen von seinem Ex-Liebhaber geschickt bekommt. Gemischt mit Bildern von toten Tauben, Schnittwunden und – von einem selbst, wie man gerade schwimmt oder über die Straße geht oder ahnungslos auf einem Konzert herumsteht.

Für die junge Psychotherapeutin Hanna sind diese miesen Grußbotschaften das bittere Ende einer leidenschaftlichen Liebesaffäre. Was mit Sätzen wie "Du bist alles, was ich immer wollte" anfing, endet mit dumpfen Drohungen: "Ich wünschte, es gäbe dich nicht mehr."

Die in Tirol geborene Filmemacherin Andrina Mračnikar studierte bei Michael Haneke und trat mit preisgekrönten Dokus wie "Der Kärntner spricht Deutsch" in Erscheinung. Ihr Spielfilmdebüt, der intensive Psychothriller "Ma Folie", betritt Haneke-Terrain insofern, als er – ähnlich wie "Caché" – mit den Bildern von heimlich gedrehten Videos eine unheimliche Parallelrealität herstellt.

Stalker

Toll fängt es an: Liebe auf den ersten Blick zwischen Hanna und dem in Frankreich lebenden Yann. Zwei Menschen im Glückstaumel – und kurz darauf übersiedelt Yann zu Hanna nach Wien. Die neue Nähe schlägt allerdings in Reibung, Liebe in Horror um: Yann entpuppt sich als krankhaft eifersüchtiger Stalker. Nach einem Streit verlässt er die fassungslose junge Frau, bleibt aber präsent, indem er unbemerkt Aufnahmen von ihr macht und mit impliziten Todesdrohungen spickt. Hanna und ihr soziales Umfeld erodieren. Beste Freundinnen erscheinen dubios, Arbeitskollegen verwandeln sich in potenzielle Mobber.

Mračnikar bemüht sich darum, die famose Alice Dwyer und den filigranen Sabin Tambrea als Opfer exzessiver Medienbilder zu inszenieren. Dabei gelingt ihr Hannas langsame Verunsicherung, hervorgerufen durch Yanns "Bildstörungen", besser als das Porträt der Beziehung. Dazu bleibt das Spiel der Schauspieler zu artifiziell, werden die Gänge zu schnell von Liebe auf Obsession geschaltet. Doch die Bilder, gefilmt von Gerald Kerkletz, entfalten in ihrer Unheimlichkeit volle Sogkraft.

INFO: Ö 2014. 99 Min. Von Andrina Mračnikar. Mit Alice Dwyer, Sabin Tambrea, Gerti Drassl.

KURIER-Wertung:

Im Kino: "Ma Folie"

Er trifft den Nerv seiner Fans. Mit Komödien wie "Schlussmacher" und "Vaterfreuden" erzielte Deutschlands Kinoliebling Matthias Schweighöfer an den Kassen Rekordergebnisse. Der 34-Jährige spielt damit längst in der gleichen Liga wie sein einstiger Mentor Til Schweiger. In seinem neuen Film "Der Nanny" wagt Schweighöfer nun einen Rollenwechsel.

Vom liebevoll chaotischen Schwerenöter mit großem Herzen verwandelt sich Schweighöfer in den fiesen Berliner Baulöwen Clemens. Auf der Jagd nach dem besten Deal vernachlässigt der alleinerziehende Vater seine beiden Kinder Winnie (Paula Hartmann) und Theo (Arved Friese). Die Beiden jagen im Gegenzug mit gemeinsten Methoden jede Nanny - unter anderem Veronica Ferres als verzweifeltes Kindermädchen Ilona - aus dem pompösen Schloss, in dem die Familie nahe der Hauptstadt lebt.

"Ich hatte keine Lust, wieder eine ganz klare romantische Komödie zu drehen", sagte Schweighöfer im Interview der Deutschen Presse-Agentur. In die Klamauk-Rolle, den "Nanny", wollte er nicht selbst schlüpfen. Dafür gewann er Milan Peschel, der unter anderem bereits in "Schlussmacher" sein Widerpart war. "Ich hatte den Antrieb zu sehen, ob ich mich selbst auch anders inszenieren kann", begründete Schweighöfer seinen Imagewechsel.

Rache des Kiezbewohners

Peschel spielt den kauzigen Berliner Kiezbewohner Rolf, den Clemens als Nanny anheuert. Rolf nimmt den Job als männliches Kindermädchen aber nur an, um sich an dem Immobilien-Hai zu rächen. Denn Rolf wohnt genau in dem Kiez, den der Bauunternehmer räumen und platt machen will. Schon einmal ist Rolf der Abrissbirne nur knapp entkommen - nachdem er sich aus Protest spektakulär selbst an seinen Kühlschrank gekettet hatte.

Doch Rolf hat die Rechnung ohne Clemens' Kinder gemacht, die ihm als Begrüßungsdrink statt Tomatensaft erst einmal ein Gläschen Tabasco-Soße reichen. Kurz darauf lässt Rolf dann Clemens' Ferrari in den Koi-Teich rollen, und der Bauspekulant kämpft im Drogenrausch mit einem Kraken.

"Der Nanny" ist gewohnt klamaukig, aber weniger zotig und romantisch als andere Schweighöfer-Filme. Der Schauspieler, Regisseur, Produzent und Co-Autor greift das heiße Eisen Gentrifizierung auf, verpackt die Thematik aber in Popcorn-taugliches Unterhaltungskino. In Nebenrollen sind Promis wie TV-Entertainer Joko Winterscheidt, Cindy aus Marzahn - in neuer Rolle kaum wiederzuerkennen -, Künstler und Youtube-Star Friedrich Liechtenstein (Edeka-Spot) und die Sängerin der Band Frida Gold, Alina Süggeler, zu sehen.

Vorhersehbar

Am Ende der vorhersehbaren Story kriegt dann natürlich auch Immobilienentwickler Clemens die Kurve und besinnt sich darauf, was wirklich im Leben zählt: Familie und Freunde. Schweighöfer, der bei "Der Nanny" bereits zum vierten Mal Regie führte, lässt als Fiesling dämonisch die Augen blitzen und seine Kinder und ihren Nanny zunächst eiskalt abblitzen. Als lebenslustiger Charmeur versprüht er in seinen Filmen letztlich aber doch mehr Charme.

"Ma Folie": Tote Tauben statt Liebesglück
Schweighöfer als profitgieriger Baulöwe: Im Drogenrausch kämpft er mit einem Kraken.

Die Synthesizer der Sowjetunion waren unspielbar. Unabsehbar, welche Töne die Geräte von sich geben würden, wenn an einem der dutzenden kleinen Knöpfe gedreht wurde. Es fehlten einfach die richtigen Komponenten.

Aber von vorne: In der Sowjetunion gab es Synthesizer (!?) Ja, wirklich. Murrende, eiernde, verzerrende, improvisierte Synthesizer mit denen murrende, eiernde, verzerrte, improvisierte Musik gemacht wurde.

Dieser ebenso abwegigen wie überraschenden Fußnote der Sowjetgeschichte haben der Wiener Filmemacher Dominik Spritzendorfer und die gebürtige Russin Elena Tikhonova ihre skurrile Dokumentation "Elektro Moskva" gewidmet.

Ergraute Schrauber, im Westen hätte man sie wohl Nerds genannt, erzählen darin mit verklärtem Gesicht, wie sie sich in Jugendtagen in den Raketenlabors der Sowjetunion bedienten, um ihre kleinen quadratischen Schaltkisten zum Klingen zu bringen. Selbst KGB-Agenten sollen ihr Abhörrepertoire zweckenftremdet haben. Ostalgie mit sphärischen Klängen, die auch auf die Dokumentation abfärben.

Anstatt tiefer in diese faszinierende Subkultur der Elektroschrauber einzutauchen, verlieren sich Spritzendorfer und Tikhonova immer wieder in verwaschenen Bildern von Lenins Traum der elektrifizierten Sowjetunion. "Elektro Moskva" gerät zur Allegorie auf das Leben in Russland selbst.

Dabei hätte es auch das kleine Bild getan, um das große zu verstehen. "Komme was wolle, irgendwas kommt sowieso immer. Eine Zeit, in der nichts war, gab es nie" lautet der Spruch, der eingerahmt im bis oben hin mit Synthesizern gefüllten Wohnzimmer von Elektroschrotthändler Aleksey über der Couch hängt. Im Alltag bestehen, heißt improvisieren. Das gilt für die Sowjetunion genauso wie für ihre Synthesizer.

KURIER-Wertung:

INFO: Premiere ELEKTRO MOSKVA (A, 2013 - 90 Min., Omengl. UT) 26. März, um 20.15 im Filmcasino. Im Anschluß an die Vorführung moderiert Heinrich Deisl (Skug) ein Publikumsgespräch mit dem Regieduo.

"Ma Folie": Tote Tauben statt Liebesglück
"Komme was wolle,irgendwas kommt sowieso immer. Eine Zeit, in der nichts war, gab es nie."

Zeitlupen im Film markieren meist dramatische Momente: Der Tod des Helden im Kugelhagel bekommt in Zeitlupe große erzählerische Wucht. Anders verhält es sich bei dem Filmkünstler Manfred Neuwirth. Er verlangsamt scheinbar banale Ereignisse: Schafe unter einem Baum. Ein Stapel Holz. Menschen beim Weinlesen.

Alles Ansichten aus Kritzendorf, wo Neuwirth nicht Wiener Badegäste, sondern Einheimische filmte. Seine 24 Zeitlupen-Einstellungen, in denen die Menschen aber in Normalgeschwindigkeit sprechen, dauern je drei Minuten und wurden mit leichtem Kameraschwenk aufgenommen. Dadurch erzielt Neuwirth einen atemberaubenden Effekt: Er macht in der Kluft zwischen Bild und Ton das Verstreichen der Gegenwart spürbar.

INFO: Österreich 2015. 76 Minuten. Von Manfred Neuwirth.

KURIER-Wertung:

Der nächste liebenswerte Kino-Alien ist im Anflug: "Oh" heißt das Wabbel-Wesen aus dem Volk der Boov. Letzteres hat sich die Erde als neue Heimat ausgesucht. Nett sind sie zwar, die von Captain Smek angeführten Eroberer, nur hat Oh auch die feindlichen Gorg angelockt. Gemeinsam mit dem Menschenmädchen Tip muss er seinen Fehler ausbügeln. Tips Auto wird zum Raumschiff auffrisiert, auch sonst stellt Oh die Welt regelrecht auf den Kopf.

Das bunte, temporeich animierte Buddy-Movie setzt auf Promi-Stimmen (im Original: "Big Bang Theory"-Star Jim Parsons, Rihanna, J. Lo, Steve Martin), infantile Gags und popkulturelle Anspielungen. So spricht Bastian Pastewka in der deutschen Fassung den Oh ähnlich verdreht wie Meister Yoda aus "Star Wars". Ganz lieb, aber ob es für das unter Druck geratene DreamWorks-Studio zum ersehnten großen Hit reicht, ist fraglich.

INFO: "Home – ein smektakulärer Trip". Animation. USA 2015. 94 Min. Von Tim Johnson. Mit den Stimmen von Bastian Pastewka, Josefine Preuß, Uwe Ochsenknecht

"Ma Folie": Tote Tauben statt Liebesglück

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