"Tosca" im Theater an der Wien: Sinnlose Schneeballschlachten

Dieser Ausflug hat sich nicht gelohnt. Weder für Regisseur Martin Kušej, dem am Ende ein Buhorkan ins Gesicht wehte. Noch für das Publikum, das Puccinis Opernreißer „Tosca“ zwar in einer durchaus zeitgemäßen, aber zumindest halbwegs sinnvollen Interpretation sehen und hören wollte.
Doch was der Direktor des Wiener Burgtheaters bei seinem Gastspiel im Theater an der Wien (wie geht es eigentlich dem altehrwürdigen Sprechtheatertempel in diesen Zeiten?) auf die Bühne gebracht hat, will unfassbar modern und zeitgeistig sein, zielt aber an „Tosca“ völlig vorbei. Sicher: Man braucht heutzutage nicht zwingend eine Kirche Sant'Andrea della Valle, einen Palazzo Farnese oder die Engelsburg, um „Tosca“ konzis und psychologisch zu deuten.

Dann aber sollte man als Regisseur wenigstens irgendetwas Anderes im Angebot haben. Und das ist bei Kušej leider nicht der Fall.
Winterstürme
Was also sieht man auf der von Annette Murschetz gestalteten Bühne? Einen abgestorbenen Baum, eine gigantische Schneelandschaft, ein sehr abgetakeltes Wohnmobil (hier residiert Scarpia) sowie . . . nichts! Ja es schneit permanent hinter dem Gazevorhang, der sich erst später heben wird. Mario Cavaradossi malt im Schneegestöber. Tosca und Scarpia sind einander in einer sexuellen sadomasochistischen Beziehung verbunden (ein kluger Einfall) und die von Mario porträtierte Gräfin Attavanti steht leibhaftig auf der Bühne und wird Tosca zum Finale erschießen. Denn Scarpia ist eine Art kultivierter Warlord, der sich mit vermummten Kriegern umgibt, der Mesner ist ein schräger Schamane, Tosca ein gepeinigtes, aber sexy (Kostüme: Su Sigmund) gekleidetes Flittchen. Es herrscht eine Endzeitstimmung, da hängen Leichenteile am Baum, da bläst (noch vor der Ouvertüre) der Wind via Tonband allen heftig entgegen. Und die eine oder andere Schneeballschlacht darf auch nicht fehlen.

Das wäre ja alles völlig legitim, würde Kušej aus diesem Sammelsurium an Ideen etwas machen, doch bleibt alles nur halb gares Stückwerk. Allein die große Szene zwischen Tosca und Scarpia im zweiten Akt (man spielt übrigens ohne Pause) zeigt, welche psychologischen Ebenen der Regisseur angedacht hat. Dass Tosca ihr berühmtes „Vissi d'arte“ teils mit dem Rücken zum Publikum singen muss, ist szenisch ein Anfängerfehler, der einem Vollprofi wie Kušej nicht passieren sollte.
Wonnemond
Womit wir bei der Musik und dem allen noch so ungemütlichen Winterstürmen vokal trotzenden Wonnemond des Abends wären, bei Kristine Opolais. Sie singt und spielt Tosca mit einem Höchstmaß an Intensität, geht auch bis an die Grenzen zur Selbstentäußerung. Eine großartige, hochdramatische Singschaupielerin, deren Interpretation unter die Haut geht.
Als Scarpia ist der Bassist Gábor Bretz auch um stimmliche Kultiviertheit bemüht, darstellerisch gibt er einen getriebenen Psychopathen. Anders der junge Tenor Jonathan Tetelmann als Mario, dessen sehr forcierte Stimme noch den einen oder anderen Feinschliff bräuchte. Denn Tetelmann setzt vor allem auf Kraft. Eher unauffällig das übrige Ensemble; gut der Arnold Schoenberg Chor.
Dirigent Marc Albrecht – er war kurzfristig für den erkrankten Ingo Metzmacher eingesprungen – passt sich am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien der szenischen Kälte an, verzichtet auf Schönklang zugunsten einer melodischen Drastik. Dass in dieser Lesart einiges an musikalischer Schönheit auf der Strecke bleiben muss, versteht sich von selbst. In sich stimmig (von einigen orchestralen Patzern, die sich ja noch beheben lassen, abgesehen) ist das Ganze allemal.
Jubel für die Mitwirkenden, die ja für Kušejs Regie nicht verantwortlich sind.
Kommentare