Filmemacher Covi und Frimmel im Porträt: Festhalten, was verloren geht
Es waren immer schon die „Ausgestoßenen und die Abgestempelten“, für die sich Tizza Covi und Rainer Frimmel interessieren. Konsequent erzählt das Regie-Paar in seinen charismatischen Filmen von den Außenseitern der Gesellschaft. Egal, ob es sich um Menschen im Zirkusmilieu an den Rändern von Rom handelt, um Russlanddeutsche in Kaliningrad oder Ex-Unterweltler in Wien-Meidling: „Wir finden es faszinierend, uns ein Bild von den sogenannten Ausgestoßenen zu machen“, sagt Tizza Covi im KURIER-Gespräch: „Wir wollen uns selbst anschauen, wie diese Leute sind und was sie zu erzählen haben.“
Die Neugier nach Geschichten von den Rändern der Gesellschaft beschäftigt Tizza Covi und ihren Partner Rainer Frimmel seit Beginn ihrer Karriere. Covi ist geborene Boznerin, Frimmel kommt aus Wien, wo beide künstlerische Fotografie an der Grafischen Lehranstalt studierten. Ihr erster gemeinsamer Film, die Doku „Das ist alles“ über Russlanddeutsche, entstand 2001, ein Jahr später gründeten sie ihre eigene Filmproduktionsfirma Vento.
Das Paar arbeitet praktisch im Alleingang, ihre Filme entstehen in enger Kollaboration: Frimmel steht hinter der Kamera – er dreht immer auf Super-16-mm-Film – Covi macht Ton und Schnitt. Regie wird gemeinsam geführt, recherchiert auch.
Ihr vielfach international ausgezeichnetes Kino zielt auf maximale Realitätsnähe ab: Oft über Jahre begleiten Covi und Frimmel ihre Protagonisten und erschließen deren Lebensräume. In „Babooska“ (2005) etwa bieten sie faszinierende Einblicke in das Leben der Artistin Babooska Gerardi, Künstlerin in einem kleinen, italienischen Wanderzirkus, der durch ein verregnetes Italien tingelt.
Auch in ihren Nachfolgearbeiten bleiben Covi und Frimmel dem artistischen Milieu treu. In ihrem hinreißenden ersten Spielfilm „La Pivellina“ (2009) erzählen sie von einer Zirkusfamilie in einem Außenbezirk von Rom, das ein kleines Mädchen findet und bei sich aufnimmt. Die Handlung selbst ist lose inszeniert, der Blick aber bleibt dokumentarisch und beobachtet Alltagsrituale an den römischen Peripherien.
„Wir wollen immer Dinge oder Gesellschaften festhalten, die verloren gehen“, sagt Rainer Frimmel: „Wir haben uns lange mit dem Zirkus beschäftigt, der auch in gewisser Art im Verschwinden ist.“
Im Verschwinden begriffen sind auch die Geschichten ihres jüngsten Dokumentarfilms „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“, der auf der Berlinale ausgezeichnet wurde. „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ ist auch für einen ROMY-Akademiepreis für beste Kino-Doku nominiert. Geplanter Filmstart: Herbst.
Prügel und Polizei
„Aufzeichnungen aus der Unterwelt“, eine Doku in herrlichem Schwarz-weiß, porträtiert zwei alte Herren, die sowohl Wiener Heurigen- als auch Wiener Kriminalgeschichte geschrieben haben.
Es fühlt sich an, als würden wir mit ihnen an einem Tisch sitzen: Mit (dem mittlerweile leider verstorbenen) Kurt Girk, begnadetem Sänger des Wienerlieds und Legende in Ottakring; und mit Alois Schmutzer, einst mit seinem Bruder Norbert als rauflustige „Schmutzer Buam“ im Nachkriegs-Wien polizeibekannt.
Schmutzer galt zudem als wichtige Figur beim „Stoß-Spiel“, einem damals verbotenen Kartenspiel. Berühmt für seine Bärenkräfte, legte er sich mit der prügelfreudigen Wiener Polizei an und wurde schließlich wegen angeblicher Anstiftung zu einem Postraub zu sagenhaften zehn Jahren Haft verurteilt. Auch Girk wurde verwickelt und ging ins Gefängnis. Die Medien jubelten ob der dramatischen Ereignisse rund um die „Schmutzer Buam“ und deren Revierkämpfe mit anderen Größen der Unterwelt. „Die Medien haben sie geliebt“, erzählt Covi: „Die beiden waren fesche Burschen und steigerten die Auflagen der Zeitungen.“
Covi und Frimmel geht es darum, hinter die aufgeregten Bilder zu blicken und die Protagonisten selbst zu Wort kommen zu lassen – speziell, wenn es um den Postraub geht: „Wir wollen nichts mystifizieren“, meint Frimmel, „aber es ist bekannt, dass Schmutzer in die Geschichte hineingezogen wurde, weil man ihn loswerden wollte.“
Auf „Luft sitzen“ heißt es auf gut wienerisch, wenn jemand unschuldig im Häfen landet. Und auch darum geht es in „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“: Um das Festhalten des Wiener Slangs und seiner unglaublich findigen Ausdrucksweisen: „Das Wienerische ist wie eine Melodie“, findet Covi. Zu ihren Lieblingsausdrücken gehört der Satz: „Die Polizei hat uns g’salzen“ – ein Euphemismus dafür, dass man verprügelt wurde. So fehlten einem Verdächtigen nach einem Polizei-Verhör schnell einmal acht Zähne.
Lange mussten die Filmemacher auch darüber nachdenken, was es heißt, jemanden „zu begeln“: „Begeln kommt von bügeln. Jemanden begeln heißt, ihn beruhigen. Wir haben ewig gebraucht, um da draufzukommen.“
Freundschaft zuerst
Die verblüffende Nähe, die das Regie-Duo immer wieder zu seinen Protagonisten herstellen kann, liegt oft in langjährigen Freundschaften begründet: „Ich wollte einfach Alois Schmutzer und Kurt Girk kennenlernen“, so Frimmel: „Als wir gesehen haben, was für spezielle Lebensgeschichten die beiden haben, entstand die Idee zum Film.“
Aber nicht nur Freundschaft und langjähriges Engagement gehören zur stark dokumentarisch geprägten Arbeit von Covi und Frimmel. Auch die Idee, den Menschen, die bei ihren Filmen mitarbeiten, etwas zurückzugeben: „Die Leute schenken einem wahnsinnig viel von der Wahrheit ihres Lebens“, weiß Covi: „Wenn ich eine Frau spiele, die sich Wasser von der Straße holt und in einem ungeheizten Wohnwagen am Stadtrand von Rom wohnt, ist das schön, wenn ich danach wieder in meine geheizte Wohnung gehe. Aber wenn ich wirklich so lebe, ist das eine irrsinnig mutige Sache. Der Welt zu zeigen: Ja, so bin ich. Die Menschen teilen Geschichten mit uns und dem Publikum, die oft sehr unangenehm sind.“
Daher müsse man diesen Menschen etwas zurückgeben – in Form eines Filmes, „der ihnen gerecht wird“.
Im März wären die Dreharbeiten zu ihrem neuen Film in Rom fällig gewesen. „Vera“ heißt das Projekt, und erzählt aus dem Leben von Vera Gemma, Tochter des berühmten Italo-Stars Giuliano Gemma: „Vera ist eine Frau aus der römischen High Society. Sie wollte sich der Gesellschaft anpassen und ewig jung bleiben, ist komplett durchoperiert und dadurch Außenseiterin“, berichtet Tizza Covi. Von Dreharbeiten ist natürlich keine Rede; auch ist ungewiss, wie die – oft älteren – Protagonisten in Italien die Krise überstehen werden.
Das gehe ihm in den Zeiten der Corona-Krise am meisten ab, gesteht Rainer Frimmel: „Dass ich Leute nicht treffen und nach ihrem Leben fragen kann. So viele Geschichten gehen jetzt gerade verloren.“
INFO: „La Pivellina“ ist auf Amazon Prime Video abrufbar, „Mister Universo“ und „Der Glanz des Tages“ kann man über die Streamingplattform Flimmit sehen.
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