Tim Parks: Ein Roman mit Massagestab

Tim Parks: Ein Roman mit Massagestab
In seiner Geschichte einer Midlife-Crisis bedient sich der Londoner eines ungewöhnlichen Werkzeuges."In extremis" heißt das Buch.

Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Londoner Tim Parks (Foto oben), der seit fast vier Jahrzehnten in der Nähe von Verona lebt, von der ständigen ORF-Werbung zum Thema Unterleibsprobleme inspirieren hat lassen ... zu einem Hauptbestandteil des neuen, seines schon 19. Romans: „In extremis“ (= im Sterben liegend).
Thomas Sanders nimmt in den Niederlanden an einem Kongress  teil. Er ist Sprachwissenschaftler, aber darum geht’s jetzt nicht.
Jetzt ist er Patient, chronische  Beckenendschmerzpatient plus Blasenschwäche. Vor Physiotherapeutinnen soll er über eine Erfolg versprechende Behandlungsmethode referieren.

Beim Zoll

Während er sich für den Vortrag fit machen und sich unten (und sehr tief) massieren lässt, bekommt er eine SMS: Seine Mutter liegt im Krankenhaus im Sterben.
Thomas will schnell zu ihr nach London, der Veranstalter schenkt ihm einen Analmassagestab, der neueste Hit. Man klemmt dieses medizinische Gerät wie einen Joystick zwischen die Schenkel  und – nein, mit Sexspielen hat das nichts zu tun.
Man kann sich vorstellen, was sich  auf dem Flughafen abspielt: „Wozu ist das?“ fragt die Zollbeamtin.
„Bitte zeigen Sie uns, wie der Stab benutzt wird“, kommandiert ihr älterer Kollege.
Na gut.
Mutig, was Tim Parks aufführt, um sich mit der Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Mit Familie. Mit dem besten Freund. Mit der Midlife-Crisis. Und der Zerrissenheit, die bei dem 57-Jährigen logischerweise zu Beschwerden  führte.
Thomas  Sanders weiß nicht, was er tun soll. Er weiß nicht einmal, ob er die tote Mutter, wenn’s denn so weit ist, „besichtigen“ soll.
Schon gar nicht weiß er, ob er Mutter endlich sagen soll, dass er seine (sehr liebe) Ehefrau nach 30 Jahren verlassen hat.
Dass er zu einer Spanierin, die um 30 Jahre jünger ist als er, nach Madrid gezogen ist. (Weiß er denn eigentlich, ob er sie liebt?) Bisher wagte er dieses Geständnis nicht, denn Mutter ist eine äußerst christliche Frau.
Jetzt, beim Sterben, hat sie zwar bestimmt anderes im Kopf ... aber bitte sehr.
„In Extremis“ ist, wie so viele Romane, zu lang. Kürzen tut zwar dem Autor weh, aber   dem Leser gut.
Freilich darf man die Sache mit dem Stab einen unnötigen Umweg nennen. Das Heitere macht allerdings empfänglicher für das Traurige. Man setzt sich dem Tod  lieber aus (den Tod im Buch).
Es ist ein Roman, in dem Menschen sagen: „Du wirst grausam sein, um grausam zu sein.“ Wenn das wirklich so ist,  gehört es wegmassiert, irgendwie.

 

Tim Parks:
„In Extremis
Übersetzt von
Ulrike Becker.
Kunstmann
Verlag.
448 Seiten.
24,70 Euro.

 

KURIER-Wertung: ****

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