KURIER: Sie haben Kino einmal als Reise auf dem Zauberteppich beschrieben. Empfinden Sie das immer noch so?
Tilda Swinton: Ich finde, Kino ist jetzt noch zauberhafter. Wir hatten große Herausforderungen in den letzten Jahren. Es ist nett, alle Leute nun maskenfrei zu sehen. Vor ein paar Jahren hätten wir uns das kaum vorstellen können. Und natürlich ist es überall anders, ich mache als Nächstes einen Film in Irland und musste unterschreiben, dass ich mich an die hundertprozentige Maskenpflicht halten werde. Ich trage sonst keine, hatte Covid so oft, dass ich voller Antikörper bin und supergesund. Ich habe keine Angst. Aber als die Kinos geschlossen wurden, weil die Menschen Angst vor großen Räumen mit vielen Leuten hatten, da ging der Zauber verloren. Dabei waren Freunde, Familie, Livemusik und Kino die vier Dinge, die wir alle am meisten vermissten.
Was muss geschehen, damit Sie einen Film, eine Rolle annehmen?
Für mich war es immer das Kollektiv, die Gemeinschaft. Ich sehe mich bei der Arbeit als Teil des Publikums. Ich sitze gern auf der Bühne, aber ich höre auch gern anderen zu. Ich habe in den 1980ern mit einer Zusammenarbeit begonnen, mit Derek Jarman, und die nächsten neun Jahre bis zu seinem AIDS-Tod 1994 nur mit ihm gedreht. Wir haben auf eine Weise gearbeitet, bei der wir nicht auf das Endresultat fokussiert, sondern nur am Arbeitsprozess selbst interessiert waren. Was rauskam, war nicht wichtig. Nach seinem Tod hing ich in der Luft. Ich war kein Profi. Ich dachte, ok, das war’s. Ich werde nie wieder einen Film machen.
Das war aber eine Fehleinschätzung.
Wunderbarer Weise kamen andere auf mich zu, die auf dieselbe Weise zusammenarbeiten wollten. Jedes Mal, wenn ich einen Film mache, denke ich, es ist mein letzter und ich kann danach mein Leben leben. Und dann beginnt eine neue Konversation, und ich werde wieder hineingezogen in ein Projekt, das interessant ist.
Sie bezeichnen sich nie als Schauspielerin, immer nur als Künstlerin, als Darstellerin. Warum?
Ich scheue davor zurück mich anders zu bezeichnen, es ist das richtige Wort, obwohl ich es mal mit Zirkuspferd versucht habe. In den alten Tagen musste man im Reisepass den Beruf angeben, und ich konnte mich nie dazu bringen, Schauspielerin hinzuschreiben. Ich würde mich wie eine Betrügerin fühlen, denn das ist nicht meine Welt. Ich sage es immer wieder: ich wollte nie Schauspielerin werden und will es noch immer nicht. Ich hatte Freunde auf der Cambridge-Universität, die alle Theater spielten und studierten, auch etwas, das mich nie interessiert hat. Es gab damals kein Filmstudium dort. Ich war nie an Theater interessiert, immer nur an Film.
Aber dann spielten Sie Theater, nicht wahr?
An der Royal Shakespeare Company, was ich aber auch nicht wollte, es gab nur nichts anderes in England. Hollywood war weit weg, unabhängiges Kino gab es nicht, die Leute machten Kostümdramen, was mich auch nicht interessierte. Es gab sogenannte Kulturfilme, das war aber sehr limitiert mit Leuten wie Peter Greenaway, Sally Potter, Ron Peck und eben Derek Jarman.
Verabscheuen Sie den Ruhm?
Ich verabscheue den Tod des Kollektivs. Es gibt dieses Individualisten-Virus, wo jeder, der Erfolg hat, denkt, dass er allein weitertun und den Rest des Teams zurücklassen kann. Da wird von außen, von der Maschinerie, die sich Filmbusiness nennt, Druck ausgeübt auf Künstler, sich loszulösen und zu Narzissten zu werden, als ob das erstrebenswert wäre. Ich ziehe den kreativen Vibe der Gruppe all diesem Individualismus vor.
Ihr neuer Film heißt „Problemista“. Er ist einzigartig wie Sie. Worum geht es in dem Film?
Um Träume und Hindernisse auf dem Weg, den Traum zu realisieren. Ich dachte und denke hier oft an meinen eigenen Lebenstraum. Ich wurde kürzlich nach meiner Ambition gefragt, und ich kann nicht lügen. Ich hatte keine. Ich träumte nicht davon, berühmt zu werden, ich stand definitiv nie vor dem Spiegel und übte eine Oscar-Dankesrede. Ich stellte mir mein Leben in Schottland vor, am Meer, mit einem Garten, in dem ich Gemüse anpflanzen kann. Ein paar Kinder haben und ein paar Hunde und mit meinen Freunden arbeiten.
Das haben Sie ja erreicht.
Das – und die Fähigkeit offen zu sein zu allem, was das Leben bringt.
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