100 Jahre alter Comic
Es können aber auch Tiere sein, die man nicht so schnell findet. Sei es, weil sie sich in weniger zentralen Bezirken befinden, sei es, weil sie auf dem Gelände von Gemeindebauten stehen. „Ich gehe jetzt mit einem ganz anderen Blick durch die Stadt. Es gibt ja tausend Tiere in Wien. Das ist nun eine von Tieren wimmelnde Stadt für mich.“
Man gehe meistens viel zu blind durchs Leben: „Da gibt es zum Beispiel so ein Sgraffito mit Bären auf einem Haus im 9. Bezirk, das ist wie ein Comic, nur schon hundert Jahre alt. Diese Häuser sprechen mit uns, ich habe da erst bemerkt, wie beredt die Stadt ist. Wieviele Geschichten die absondert, wenn man nur zuhört oder hinschaut.“ Die Tiere in den Gemeindebauten, erzählt Hammerschmid, ähneln sich in ihrer Ästhetik, in den 50er-, 60er-Jahren wurden solche Skulpturen häufig aufgestellt. „Oft haben sie etwas Beruhigendes, Allgemeingültiges, viele sollten auch als Spielfiguren dienen: „Das war ja damals neu und schön, dass Kinder ihren eigenen Raum bekommen sollten.“ Aber sie haben sehr unterschiedliche Charaktere, die den Dichter auch ganz unterschiedlich inspiriert haben. Die Schnecken aus einem Gemeindebau in Favoriten etwa, die bei ihm eine Art Marsch inklusive Order an den Popo exerzieren.
Strenger Löwe
Hammerschmid versetzt sich bei seinen Texten auch in seine eigene Kindheit zurück, wie bei dem Gedicht über den Brunnenlöwen aus der Josefstadt. „Der schaut so streng. Da ist mir eingefallen, wie ich das als Kind intensiv erlebt habe, dass man sich so erkannt vorkommt. Dass man das Gefühl hat, dieser Löwe weiß etwas über einen.“
Kinder sind ein sehr dankbares Lyrikpublikum, sagt Hammerschmid. „Bei Lesungen erlebe ich die Kinder immer wahnsinnig interessiert und involviert. Ich habe noch nie erlebt, dass die so komplett danebenstehen. Aber das ist auch eine tolle, praktische Form, sie vermittelt sich sehr intuitiv, aber auch akustisch. Ein Gedicht hat lautlich viel zu bieten, da lässt sich gut mitgehen, wenn ein Rhythmus entsteht. Ich glaube, das ist etwas, das einen auch sehr körperlich erreicht.“ Deswegen hat Hammerschmid auch alle Tiergedichte eingelesen: Folgt man dem QR-Code am Ende des Buchs, kann man sie abrufen.
Wenig präsent im Buchhandel
Hammerschmids Arbeiten findet man immer wieder im Zoom-Kindermuseum, aber er organisiert auch jährlich ein Lyrikfestival für Erwachsene in der Alten Schmiede, „Dichterloh“. Die Lyrik mag einen schwereren Stand haben als Romanliteratur, aber „sie geht auch nicht weg. Sie ist der Kern unserer Kultur, man denke nur an die Antike, an die Ilias – das ist nicht weit weg von Lyrik.“ Er findet, dass die Lyrik, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, in letzter Zeit eine Renaissance erlebt. Damit das so weiter geht, hat er einen Appell an Buchhandlungen: „Die Lyrik könnte schon ein bisschen präsenter sein. Wenn sie es hinstellen, kann man es kaufen. Wenn sie es nicht einmal hinstellen, wird es schwierig.“
Bei Kinderlyrik mag man instinktiv an lustige Reime denken, Michael Hammerschmids Poesie legt da normalerweise nicht notwendig Wert darauf. Die Tiere haben aber auch in ihm die Lust auf Humor geweckt. „Diese Schnecken zum Beispiel, die stehen einfach – ziemlich riesig – unvermittelt da. Man denkt sich, in welchen Film bin ich da geraten? Da kann man nicht mehr ernst über die schreiben!“
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