Der Kabarettist arbeitet diesmal wieder mit doppeltem Boden, sein Bühnen-Ich hat aber keinen Fantasienamen. Und so erklärt Mauer dem Publikum - als „gemeinsame Realitätsübereinkunft“ – dass er freilich hier im Stadtsaal stehe und nicht im Waldviertel. Dies ist aber keine leere Pose, es geht die weiteren eineinhalb Stunden sehr viel um Realität ("Der Klimawandel ist menschengemacht") und um das, was viele Nutzer von Sozialen Medien dafür halten. Der Zimmernachbar zum Beispiel sei „für die wirkliche Welt total verloren“.
Wobei Maurer mit Netzfunden auf seinem iPad nachweist, inwieweit die Realität mittlerweile verwischt werden kann.
Halt! Netzfunde, iPad? Ja, der Hotelagast, der versichert, kein Internet-Junkie zu sein, hat sein Tablet in der papierenen Ausgabe der Zeit ins Hotel geschmuggelt. Und wo ein Wille, da auch ein W-Lan. Der Zimmernachbar habe ihm gesteckt, dass das Hauspersonal sehr wohl per Glasfaserkabel surft, für 100 Euro könne er ihm das auch das Passwort verraten. Für den guten Zweck, er würde für einen Rechtshilfefonds spenden (für Donald Trump). Da zögert der angebliche Abstinenzler kurz, sagt sich dann aber: "100 Euro sind nicht so viel wie drei Wochen lang."
KI ist wie Palmöl
Mit den erschlichenen Gigabyte zeigt Maurer dem Publikum auf, was mit KI alles möglich ist. KI sei ja „wie Palmöl oder Zucker: Es ist in mehr Sachen drin, als man glaubt". Etwa in einem Fake-Video, in dem Maurer selbst das Testimonial für die Kryptowährung Dogecoin aufzutreten scheint. Er lässt aber auch FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Parlamentsrede halten, in der dieser linkslinke Parolen schwingt, die selbst einen Andi Babler erröten lassen würden. Perfider Verfremdungseffekt: der Kommunisten-Kickl wirkt auf der Wahrnehmungsebene total authentisch.
Dem Publikum präsentiert Maurer diese Fake-Beispiele auf einem Großbildfernseher im Raucherkammerl. Auch dieser Kniff erweist sich als gefinkelte Pointe. Er steckt sich eine Bühnenzigarette an und dämpft sie gleich wieder angewidert aus. Denn die Rauchschwaden dienen lediglich als Tarnung für sein wahres Laster: den digitalen Konsum. Und falls sich tatsächlich jemand von außen ins Kammerl wagen sollte (Maurer: „Heute raucht ja niemand mehr“), solle das Publikum „Achtung, Kasperl!“ rufen.
Nach der Pause führt Maurer eine weitere Figur von außen ein: einen Suchttherapeuten mit persischem Akzent, der Ursachen und Auswüchse des digitalen Suchtverhaltens durchdekliniert. So kann Maurer, der die Tagespolitik hier wieder ausspart, erklären, wie Facebook, X und Co. das menschliche Suchtzentrum stimulieren, warum TikTok "wie ein Stabmixer", sei, "der dir ins Hirn fährt". Die vielen Instagram-Reels könne er ohnehin nicht "verstoffwechseln".
Hardcore-Nostalgiker
Auch die „Hardcore-Nostalgiker“ auf Facebook geißelt er. In einem parodistischen Boomer-Monolog heißt es etwa: „In unserer Kindheit wurde im Auto noch geraucht, und zwar ab zwölf“ oder: „Wir mussten noch nicht genderrrrn, um zu wissen, wer wir sind.“
Durchaus politisch gemeint sind die geschilderten Hassexzesse, wo es schon ausreichen würde, weiblich zu sein und etwas kontrovers zu formulieren, um binnen 15 Sekunden bis 45 Minuten „Twitter unverdünnt und in Fassstärke“ verabreicht zu bekommen. Elon Musk habe sogar 44 Milliarden Dollar investiert, um sich zu einem „voll ausgewachsenen Twitter-Trottel zu entwickeln“, sagt Maurer bitter.
Sein Bühnen-Alter-Ego redet sich richtig in Rage – vielleicht liegt es auch daran, dass in der Rahmenhandlung die Versorgung mit neuem Stoff aus dem Netz abrupt endet. Der Treffsicherheit von Maurers Pointen schadet es nicht, er bringt sie – trotz der teilweise etwas didaktischen Anmutung - traumwandlerisch ins Ziel.
Ohne Eigenschaften
Kalt über den Rücken läuft es einem, wenn Maurer am Ende eine Fortschreibung wagt und eine Zukunft skizziert, in der sich KI und Social Media irgendwann gegenseitig aushebeln. Denn wenn sich dort nur noch maschinengesteuerte Fake-Profile befetzen, könnte die Werbewirtschaft irgendwann die Lust verlieren. "Ein Chatbot braucht keinen neuen Toyota und kein Potenzmittel", resümiert Maurer.
Davor wurde noch rasch der Nahost-Konflikt erklärt und gelöst. Nur das mit dem Lesen von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ wird wohl wieder auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben.
Manche Gesellschaftsdiagnosen in „Trotzdem“ mögen nicht gänzlich neu sein, aber im Zeichen eines auch an Wahlergebnissen abzulesenden allgemeinen Vertrauensverlustes ist scharfzüngiges Kabarett ein probates Mittel für den Realitätsabgleich - vor allem wenn es fast skandalös gut ist.
Applaus und Jubel bei der Premiere am Dienstag.
INFO: Weitere Termine und Tickets
Kommentare