Thomas Birkmeir vom Theater der Jugend: „Zu uns kommt man freiwillig“
Thomas Birkmeir leitet das Theater der Jugend (TdJ, mit dem Theater im Zentrum und dem Renaissancetheater in der Neubaugasse) seit 20 Jahren. Und er möchte gerne weitermachen. Weil er Kinder- und Jugendtheater kann.
KURIER: Das Theater der Jugend hat als Bildungseinrichtung einen kulturpolitischen Auftrag. Wie lautet er?
Thomas Birkmeir: Laut den Statuten hat es Kindern und Jugendlichen zu einem erschwinglichen Preis Kunst und Kultur im weitesten Sinne nahe zu bringen. Wir wollen die jungen Menschen nicht indoktrinieren, aber ihnen die europäischen Werte vermitteln – aber ohne den Kolonialismus-Gedanken.
Was ist „erschwinglich“?
Ich war kürzlich bei Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, um ihr unsere Lage zu erklären. Das Theater der Jugend hatte vor der Pandemie einen Eigendeckungsgrad von 42 bis 47 Prozent. Aber unser Auftrag ist es ja nicht nur, einen möglichst hohen Eigendeckungsgrad zu erreichen, sondern auch Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten mit wenig Geld ins Theater zu bringen. Ich finde, dass wir unsere Angebote dahingehend modifizieren müssen. Und das sagte ich der Stadträtin: „Ihr könnt nicht das größte Kinder- und Jugendtheater der Welt wesentlich schlechter finanzieren als die Erwachsenentheater!“
Wie reagierte Kaup-Hasler?
Sie hörte aufmerksam zu. Natürlich habe ich auch einen Vergleich mit Deutschland angestellt. Generell werden die Theater dort – auch in der Provinz – viel besser finanziert. Ganz besonders deutlich wird das, wenn man die Subvention pro Sitzplatz ausrechnet. Bei uns lag der Wert vor der Pandemie bei rund 25 Euro. Das Grips-Theater in Berlin kam auf rund 35 Euro, in der Schweiz wird der Sitzplatz im Kinder- und Jugendtheater sogar mit bis zu 120 Euro subventioniert.
Sie hörte aber nur zu?
Versprochen hat sie nichts, aber vielleicht bewegt sich etwas. Ich bin der Überzeugung: Wien wäre nicht diese Theaterstadt, wenn es nicht das TdJ gäbe, das die Kinder für das Theater begeistert und Schwellenängste nimmt. Wir schicken unser Publikum ja auch in die Vorstellungen der anderen Theater. Wenn man was Gutes gesehen hat, kommt man später, als Erwachsener, wieder.
Wie sehen diese Kooperationen konkret aus?
Wenn wir noch eine Produktion für die 11- bis 14-Jährigen brauchen, fragen wir zum Beispiel beim Rabenhof an, ob Interesse besteht, ein geeignetes Stück zu produzieren. Wir mischen uns ins Künstlerische nicht ein, garantieren aber mehr oder weniger volle Häuser.
Wie können Sie wissen, ob die Qualität stimmen wird?
Das ist Vertrauenssache und auch schwierig. Denn mit neuen Intendanten ändern sich mitunter die Inhalte. Und dann drohen die Leut’, die Abos zu kündigen, weil sie nicht mehr in dieses oder jenes Theater gehen wollen. Sie erwarten, dass wir diese nicht mehr zuteilen, was wir auch versuchen.
Eltern nehmen gerne ein TdJ-Abo, weil sie noch echte Aufführungen bekommen.
Auch wenn manche das vielleicht altmodisch finden: Das ist mein Ansatz. Ja, ich bekenne mich zum Geschichten-Erzählen. Die Regisseurin Andrea Breth hat einmal festgestellt, dass die Theaterleute ins Kino rennen, um packende Plots erzählt zu bekommen – und auf der Bühne interessieren sie sich nicht dafür. Natürlich gibt es tolle Stückezertrümmerungen oder auch gelungenes postdramatisches Theater, aber es sollte eine Vielfalt geben. Und man sollte sich schon auch die Frage stellen: Was will das Publikum sehen? Wir machen Theater ja nicht für uns, sondern für unser Publikum. Und es gibt ja keine Zwangsbeglückung mit Vorstellungen um zehn Uhr vormittags, zu uns kommt man freiwillig. Das dürfte uns gelungen sein. Denn sonst würde ich das TdJ nicht seit 20 Jahren leiten.
Weil sich Ihr Vertrag automatisch um zwei weitere Jahre verlängert, wenn er nicht aktiv gekündigt wird.
Das stimmt. Man hat aber bisher keinen Gebrauch davon gemacht.
Und Sie würden gerne weitermachen?
Mir wurde unter anderem die Staatsoper in Lissabon angeboten, aber das bin ich nicht. Ich kann Kinder- und Jugendtheater. Daher würde ich gerne hier in Wien weitermachen. Auch deshalb, weil mir der bundesdeutsche Zynismus am Theater mitunter auf die Nerven geht. Oder das andauernde Schielen nach guten Kritiken in der Fachzeitschrift „Theater heute“. Ich bin keiner, der sich Moden unterwirft. Wir wollen jungen Menschen ein Rüstzeug für Situationen mitgeben, in denen Aufbegehren angesagt ist. Es geht uns um Mündigkeit, um das Entwickeln eines Widerstandsgeist. Das ist mir wichtiger als die 1000. Interpretation von Schillers „Räuber“, die möglichst originell sein muss, damit sie auffällt. Umgekehrt: Ich möchte kein Sesselkleber sein. Wenn man mir sagen sollte, dass jetzt Schluss ist, dann ist es eben so.
Wie halten Sie es mit der österreichischen Varietät der deutschen Sprache?
Das hängt vom Stück ab. In der nächsten Saison bringen wir eine Geschichte, die in Berlin spielt. Wir haben überlegt, ob wir sie nach Wien verlegen sollen, haben uns aber dagegen entschieden, weil das Stück dann nicht funktionieren würde. Es spielt eben explizit in Berlin. Und da wäre es komisch, wenn wir die österreichischen Begriffe verwenden würden. Aber im Prinzip sagen wir zum Beispiel „Paradeiser“ und „zu Ostern“.
Wie das Stück heißt, wollen Sie nicht verraten?
Wir präsentieren unsere Vorhaben immer erst nach Schulanfang. Es gibt ja keine Zwangsbeglückung mit Vorstellungen um zehn Uhr vormittags, zu uns kommt man freiwillig. Aber weil auch bei uns die Abo-Zahlen durch Corona empfindlich zurückgegangen sind, wollen wir die Menschen mit lukullischem Theater zurückgewinnen. Was ich schon jetzt verraten kann: Wir starten im Renaissancetheater mit dem Musical „Honk!“, inszeniert von Werner Sobotka, eine sehr amüsante Variation von Andersens „Das hässliche Entlein“. Es ist für die Altersgruppe 6 bis 10, aber wir sind uns sicher, dass auch die Erwachsenen Spaß daran haben werden – wie bei den Pixar-Filmen, die für die ganze Familie konzipiert werden.
Und im Theater im Zentrum?
Da machen wir „Bradley – letzte Reihe, letzter Platz“ von Louis Sachar, inszeniert von Nicole Claudia Weber. Es geht um einen schwer erziehbaren Buben, der die anderen Kinder anspuckt, quält und erpresst. Und der dann, dank der Hilfe einer sehr unkonventionellen Therapeutin, lernt, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Das ist für die Altersstufe von 11 bis 14. Sehr witzig, aber mit Tiefgang.
Was inszenieren Sie?
Mir gelingt es hoffentlich, endlich „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind herauszubringen. Ich habe die Inszenierung ja schon zweimal angekündigt, musste die Produktion wegen Corona aber immer wieder verschieben. Wenn es jetzt nicht gelingt, bleibt sie wohl für immer unaufgeführt. Denn die Mitwirkenden werden langsam zu alt für die Rollen… (lacht)
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