Gérard Mortier: Der Intendant, der die Oper veränderte
Es gibt Tage, die sind so furchtbar traurig, weil man erkennt, dass danach nichts mehr ist, wie es einmal war. Gérard Mortier ist tot. Mit ihm starb ein Intendantentypus, der sich möglicherweise nie wieder finden wird. Mortier war einzigartig.
Zeitlebens von Teilen des Publikums abgelehnt, ja sogar gehasst. Für Produktionen, mit denen er eben diesen Besuchern den Spiegel vor Augen hielt. Wie etwa mit seiner letzten Premiere bei den Salzburger Festspielen, "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss, als er das Foyer des Festspielhauses auf die Bühne bauen ließ, um seine Abrechnung mit dem Kapital deutlicher zu machen.
Von seinen Anhängern, und derer gab es sehr viele, jedoch fast abgöttisch verehrt. Ein Jesuit als Heilsbringer der Oper (woraus definitiv kein Vergleich zu dem amtierenden Jesuiten in Rom abzuleiten ist).
Ein Erneuerer der Oper, der davor Dagewesenes auf den Kopf stellte, dabei aber das Ziel, die tiefgründige Interpretation, nie aus den Augen verlor. Ein Aufrüttler, der auch den Politikern die Meinung so scharf sagte wie sonst in Österreich nur Peymann.
Ein Verbindungsglied zwischen den unterschiedlichen Genres, etwa der Musik und der Kunst – wie kein anderer legte er Wert darauf, bildende Künstler zur Oper zu locken.
Und bei all dem ein Intendant, der wusste, wo sein Platz ist. Einer, der nicht Regie führte, sondern bedingungslos für seine Künstler da war, die seine Familie bildeten.
Ein Streiter für die Sache. Und im persönlichen Umgang einer der charmantesten, liebenswürdigsten Zeitgenossen.
Mortier: Die Stationen seiner Karriere
Der Autor dieser Zeilen durfte unzählige bereichernde Gespräche mit ihm führen. Seinen Weg viele Jahre lang begleiten. Sogar gemeinsam Prozesse durchstehen, wenn es wieder einmal um scharfe Formulierungen ging. Und wenn man bei Begegnungen oder in Briefen als "mein Freund" angesprochen wurde, dann war das nicht zwingend Ausdruck einer wirklich amikalen Verbindung, als ein Hinweis darauf, unterm Strich auf der gleichen Seite, jener der Kunst, zu stehen.
Noch heute sagen Angestellte der Salzburger Festspiele, wenn die Rede auf Mortier kommt, er sei der höflichste und persönlich liebste Intendant von allen gewesen. Obwohl das Bild, das er nach außen vermittelte, ein anderes war.
Wirbelwind
Gerard Mortier übernahm, aufgrund wundervoller Produktionen in Brüssel mit seinem Wegbegleiter Sylvain Cembreling, vor allem im Mozartfach, nach Karajans Tod die Leitung der Salzburger Festspiele. Ab 1991 war er der Wirbelwind in Salzburg, der richtige Mann auf dem richtigen Platz. Ein Mann von Welt, der mehrere Sprachen fließend beherrschte und für die Oper lebte und brannte wie kaum ein anderer. Er verjüngte die Festspiele, ging weg von Karajans Ein-Mann-Prinzip, erneuerte das Repertoire, setzte verstärkt auf Uraufführungen. Und landete Triumphe.
Was nicht bedeutet, dass es nicht auch schreckliche Produktionen gegeben hätte. Etwa die "Fledermaus", die er in seinem letzten Salzburg-Jahr herausbrachte. Das Hauptproblem lag in solchen Fällen aber oft an den Besetzungen, die nicht durchgehend erstrangig waren – weil andere Sänger bei seinen Regiekonzepten nicht mitmachen wollten.
Er lieferte sich legendäre Gefechte mit den Wiener Philharmonikern. Und musste sich auch mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler erst zusammenstreiten – was schließlich gelang.
Nach Salzburg übernahm Mortier die beiden großen Pariser Opernhäuser. Danach sollte er nach New York, um die dortige City Opera zu leiten, was an den finanziellen Bedingungen scheiterte.
Zuletzt war er Chef der Oper in Madrid, wo er unter anderem einen grandiosen Erfolg mit Michael Hanekes "Così fan tutte"-Inszenierung feierte. Dass Haneke ausschließlich mit Mortier zusammenarbeitete, sagt alles über den künstlerischen Zugang aus.
Seit knapp einem Jahr wusste er, dass er Bauchspeicheldrüsenkrebs hat, und all seine Wegbegleiter hofften, dass er sich wieder erholen würde. Vor drei Tagen hatte Ihr Kritiker Mortier noch ein Mail geschrieben und seither vergeblich auf Antwort gewartet. Jetzt ist klar, warum sie nicht kam. Es ist still geworden. In der ganzen Opernszene.
"Gérard Mortier war eine der raren Intendantenpersönlichkeiten, die unbeirrbar – auch durch schwere Krankheit nicht – für die Kunst und deren gesellschaftliche Bedeutung kämpften. Sein Tod ist ein schrecklicher Verlust", reagierte Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler in einer sehr persönlichen Stellungnahme auf den Tod von Gérard Mortier, der von 1991 bis 2001 die Salzburger Festspiele geleitet hat.
"Mortier wollte, dass die Festspiele die besten und wichtigsten der Welt bleiben. Er wusste, dass er nach dem Tod seines übermächtigen Vorgängers Herbert von Karajan vieles ändern musste und er wollte das. So gelang es ihm nach der Ära Karajan eine Ära Mortier zu gestalten." (...) "In seinen besten Zeiten", so Rabl-Stadler, "gelang es Mortier, das Killerwort "beliebig" für das Festspielprogramm aus den Feuilletons zu löschen.
Regisseur Luc Bondy ehrte den Verstorbenen als "großen Innovator". Mortier habe nicht die Zustimmung aller gesucht, sei eine große Persönlichkeit gewesen und habe zugleich viel über die Kohärenz seiner Programmierungen reflektiert.
Als "einen der bedeutendsten Opernintendanten Europas" würdigte Kulturminister Josef Ostermayer Mortier. Er habe "maßgeblich zur Verjüngung der Festspiele beigetragen und zeitgenössische Impulse gesetzt." Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny würdigte Mortier als "Intendant von Weltformat" sowie "Ermöglicher und Erneuerer".
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