Nicht nur der 3.000 Meter hoch gelegene Spielort, auch der technische Aufwand des von Tourismusverband und Bergbahnen finanzierten Spektakels sucht seinesgleichen. Zum Einsatz kommen Flugzeuge, ein Hubschrauber, Segelschiffe, Motocrossmaschinen und Motorschlitten; es gibt Feuerwerke und sogar eine künstlich ausgelöste Lawine. Die 300 Akteure seilen sich vom Helikopter ab, wedeln auf Skiern den Berg herunter oder schweben per Paragleiter auf die „Bühne“.
Berg als Hauptdarsteller
Die Elefanten, mit denen der karthagische Feldherr Hannibal im Jahr 218 vor Christus die Alpen überquerte, werden von 32 Pistenraupen dargestellt. Hannibals Geschichte wird einerseits in einem aus dem Off eingespielten Text transportiert, andererseits mit den Mitteln des Tanztheaters erzählt. Die Hauptrolle aber spielt der Berg.
Die exakt 67 Minuten lange Inszenierung ist bis ins Detail durchgetaktet; an der Partitur wird kein Beistrich verändert. „Das ist ein Klassiker der österreichischen Choreografie“, sagt der technikaffine Choreograf Hubert Lepka, 66, der sich das alles ausgedacht hat. „Das Stück ist immer das gleiche. Aber wir befinden uns hier in einer exponierten Landschaft, die sich natürlich ständig verändert. Die Rolle des Wetters ist es eigentlich, sich an die Prognose zu halten. Aber das Wetter improvisiert hier sehr gerne.“
2004 gab es so viel Nebel am Berg, dass die Zuschauer das Stück nur in Teilen sehen konnten. Ansonsten aber blieben sie in Sölden bisher weitgehend verschont von Wetterkapriolen; meistens spielt das Wetter sogar sehr gut mit. „Die Lichtstimmungen sind oft dermaßen dramatisch, dass es mit Worten nicht zu fassen ist“, schwärmt Lepka. „Die echten Wolken sind die beste Nebelmaschine.“
Mensch, Natur, Technik
In letzter Zeit werden vermehrt kritische Stimmen laut. Vor zwei Jahren, als Russland gerade in der Ukraine einmarschiert war, kritisierte etwa die damalige Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) die Aufführung eines Kriegsstücks als „geschmacklos“ (folgt man dieser Argumentation, dürfte man derzeit allerdings große Teile des Theaterkanons nicht mehr aufführen).
Der Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer stößt sich ohnedies schon seit Längerem an dem Spektakel. "Das ist ein Spektakel, das stark auf den Verbrauch von fossilen Brennstoffen setzt“, sagt Kostenzer. Man habe rechtlich allerdings keine Möglichkeit, gegen den Event vorzugehen. Tatsächlich kann man sich angesichts schwindender Gletscher die Frage stellen, ob "Hannibal“ heute noch zeitgemäß ist.
„Nein“, sagt Umweltanwalt Kostenzer. „Sehr zeitgemäß“, findet Lepka. „Das Stück bringt genau das zur Sprache, was heute unser Thema ist: das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Technik. Das künstlerisch zu verhandeln, finde ich spannend.“
Man müsse auch dazusagen, ergänzt Lepka, dass nicht auf dem Gletscher gespielt wird, sondern davor. Die Aufführung findet ausschließlich auf bereits für das Skigebiet erschlossenen Flächen statt – hauptsächlich auf jenem Hang, auf dem jedes Jahr im Oktober die ersten Weltcuprennen der Saison gefahren werden.
Für die Theaterbesucher ist und bleibt „Hannibal“ ein einzigartiges Erlebnis. Sie stehen im Schnee, verfolgen eine Inszenierung, die einen Gletscher zur Kulisse macht, und ertappen sich am Ende dabei, wie sie den – tatsächlich virtuosen! – Pistenraupen Applaus spenden.
Hubert Lepka wird oft gefragt, ob ihm „Hannibal“ mit der Zeit nicht langweilig wird. „Es ist das Gegenteil von langweilig“, sagt er dann immer. „Es ist jedes Mal wieder aufregend und schön.“
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