Drei Stunden lang begleiten wir diese Familie durch die jüngere österreichische Geschichte: Erster Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Austrofaschismus. Ludwigs Tochter Nellie (Alma Hasun) ist Sozialistin, ihr Mann wird beim Beschuss der Gemeindebauten getötet. 1938 kommen die Nazis. Die Familie verkennt den Ernst der Lage und schafft die Flucht nicht mehr.
Man verliert leicht den Überblick über die fast Doderer-artigen (ein gewagter Vergleich) Verzweigungen. Ein Stammbaum im Programmbuch hilft ein wenig – aber immer wieder müssen Figuren erklären, wer sie eigentlich sind.
Der berühmte englische Dramatiker Tom Stoppard (Übersetzung: Daniel Kehlmann) hat mit „Leopoldstadt“ seine eigene Familiengeschichte aufgearbeitet – und gleichzeitig eine Geschichtsstunde für ein englisches Publikum geschrieben, wohl auch bewusst für die Nachkommen der Vertriebenen. In Österreich – das Theater in der Josefstadt sicherte sich die deutschsprachige Erstaufführung – hat man bei allem Respekt das Gefühl: Das wissen wir alles. Diesen Stoff haben wir zum Glück schon gelernt. Andererseits: Sind wir nicht die Meister der Verdrängung?
Schnitzler
Stoppard hat sich zu Beginn der Geschichte auch als Schnitzler-Epigone versucht: Die Geschichte rund um den Seitensprung der Fabrikantengattin (Maria Köstlinger) mit einem antisemitischen Offizier ist der einzige Konflikt, der dramatisches Potenzial hat (und eine sehr gute, bittere Pointe abwirft). Leider wird die Geschichte eher ungelenk erzählt.
Das Theater in der Josefstadt bietet eine beeindruckende Ensembleleistung. Gespielt wird sehr gut, manchmal – etwa, wenn Joseph Lorenz einen abgrundtief bösartigen Nazi gibt – stockt einem der Atem. Die Inszenierung von Janusz Kica läuft aber langatmig ab, im Stil eines altmodischen Fernsehspiels.
Ganz am Ende steht dann ein furchtbares Wort: „Auschwitz“.
Viel Applaus, manche Zuschauer zeigten sich verärgert und gelangweilt, andere schluchzten.
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