"The Jungle Book": Vorbei ist die Gemütlichkeit

Echter als echt: Neel Sethi als Menschenkind Mogli und seine Dschungelfreunde Panther Baghira, Bär Balu und Wolfsmutter Raksha 
Disneys Dschungelbuch als schaurig-pathetisches Bubenabenteuer.

."Probier’s mal mit Gemütlichkeit" war nicht die Maxime, mit der sich "Iron Man"-Regisseur Jon Favreau über Rudyard Kiplings "Dschungelbuch" hermachte. Wer bei der Geschichte vom Buben Mogli, der bei den Tieren aufwächst, noch Disneys amüsanten Animations-Klassiker von 1967 mit Tanz und Gesang vor Augen hat, muss sich gedanklich komplett umspuren. Favreaus mit eiserner Hand für Disney produziertes Live-Action-Remake pendelt sich zwischen gruseliger Schauerballade und tonnenschwerem Coming-of-Age-Pathos ein. Insofern kommt es mit seinem unheilvollen Tonfall dem Buchoriginal vielleicht näher, richtet sich dafür aber deutlich stärker an ein erwachsenes Publikum als an juchzende Kleinkinder.

Die Tieranimation selbst liefert einen beeindruckenden Beweis dafür, auf welch technisch hohem Niveau sich Computer-Animationskunst befinden kann. Der schwarze, mild-autoritäre Panther Baghira, der gestreifte Tiger-Unhold Shir Kan, der freundlich-verfressene Bär Balu – kurz: alle tierischen Dschungelbewohner sehen unglaublich echt, ja geradezu echter als echt aus.

Überlebensgroß wie Superhelden erheben sie sich auf der Leinwand, detailgenau animiert bis in die Schnurrbartspitze. Dazu reden sie lupenreine Menschensprache – und vor allem die Raubtiere artikulieren sich derartig gewählt, dass sie in jedem Shakespeare-Stück auftreten könnten.

Die Dschungellandschaft selbst beeindruckt durch ihr fleischiges Baumgeflecht, in dem sich Mogli flink bewegt wie ein junger Affe. Überhaupt Mogli: Für den New Yorker Newcomer Neel Sethi muss es eine rechte Herausforderung gewesen sein, als einziger menschlicher Schauspieler in digitaler Umgebung den furchtlosen Buben zu spielen. Er tut dies aufgeweckt, temperamentvoll und liebenswürdig.

Schlangen-Horror

Allerdings wird er mit einer Reihe von recht brutalen Abenteuern konfrontiert, die sich nah am Horror-Genre befinden. Die Schlange Kaa bietet so einen Anlassfall: Im englischen Original säuselt Scarlett Johansson als Stimme von Kaa dem verträumten Mogli ins Ohr, während sie gleichzeitig ihren massiven Leib um ihn schlingt. Unschön dann ihr Versuch, den Buben mit aufgerissenem Maul auf einen Haps zu verspeisen. Allein diese Szene könnte für schlaflose Nächte im Kinderzimmer sorgen.

Auch Affenkönig Louie, Disneys einst so lustiger "größter Klettermax" hat in der Neuverfilmung stark an Humorbereitschaft eingebüßt. Als somnabuler Riesenaffe steckt er – in Anspielung an Marlon Brandos Gaga-Colonel Kurtz in "Apocalypse Now" – in einem Steintempel fest und faselt im Halbschatten heiser von der "roten Blume" (sprich: dem Feuer).

Einzig Pelzbär Balu sorgt für komische Auflockerung. Gut gelaunt rudert er mit Mogli auf dem Bauch durchs Wasserbad und trällert entspannt seinen "Probier’s mal mit Gemütlichkeit"-Evergreen. Allerdings will sein heiterer Ausflug ins Musical nicht so recht zu dem vorherrschenden gravitätisch-bedrohlichen Tonfall passen.

Bis zum Abwinken wird auch "das Gesetz des Dschungels" als kämpferisches Leitmotiv strapaziert. Doch als Mogli versucht, Balu dieses Geschwätz vom "Gesetz" als Lied zu verkaufen, stellt dieser zutreffend fest: "Das ist kein Gesang, das ist Propaganda." Und das ist Disney, diesmal düster.

INFO: The Jungle Book. USA 2016. 105 Min. Von Jon Favreau. Mit Neel Sethi. Dt. Stimmen: Ben Becker, Jessica Schwarz.

KURIER-Wertung:

Im Kino: "The Jungle Book"

Wir wissen längst, dass Sex nicht mehr notwendig ist, um die Menschheit fortzupflanzen. Mittlerweile leben fünf Millionen Leute auf der Welt, die ohne Geschlechtsverkehr gezeugt wurden. Tatsächlich scheinen die Optionen für Menschen mit Kinderwunsch vielfältig, umso mehr, wenn man sich in Länder begibt, in denen etwa Leihmutterschaft erlaubt ist. Dabei nehmen die Formen der Reproduktionstechnologien auch bizarre Formen an. In Maria Arlamovskys umfangreicher, formal schöner Doku über die Möglichkeiten künstlicher Fortpflanzung zwischen Prag, San Diego und Tel Aviv bleibt einem manchmal der Mund offen. Ein Mann auf der Suche nach einer Eizellenspenderin klickt sich durch eine Website, wo junge Frauen ihre genetischen Fähigkeiten anpreisen (um ihr Studium zu finanzieren). Kommentare wie "Diese Frau ist hübsch, aber mollig – sie hat 57 Kilo", klingen einigermaßen daneben. Eltern werden zunehmend zu zahlungskräftigen Konsumenten, die sich ihr Wunschkind kaufen.

Text: Alexandra Seibel

INFO: Ö 2016. 90 Min. Von Maria Arlamovsky. Mit Carl Djerassi, Carmel Shalev, Scott Brown.

KURIER-Wertung:

"The Jungle Book": Vorbei ist die Gemütlichkeit
Fortpflanzung im Labor: Wie weit darf man gehen?

Action aus der Perspektive eines Egoshooters: Ilya Naishuller drehte einen ultra-brutalen, super-schnellen Sci-Fi-Thriller, bei dem wir als Publikum ausschließlich durch die Augen eines gejagten Cyborgs namens Henry sehen. Das bedeutet: 94 Minuten Extrem-Wackelkamera. Kann sein, dass der Film hervorragend ist, wenn es die Magennerven aushalten. Meine zwangen mich nach 20 Minuten mit großer Übelkeit aus dem Kino.

Text: Alexandra Seibel

INFO: Hardcore. USA/Russland 2016. Von Ilya Naishuller. Mit Sharlto Copley, Danila Kozlovsky, Haley Bennett, Tim Roth, Dasha Carusha.

"The Jungle Book": Vorbei ist die Gemütlichkeit
Rasanter Sci-Fi-Action-Thriller aus der Perspektive eines Gejagten

Ein Militärbunker in der Wüste Kaliforniens, die Flutkanäle unter der Stadt Las Vegas, die Mars Desert Research Station in der Wüste von Utah: Die Schauplätze von "Above and Below" liegen in Wirklichkeit mehr als tausend Kilometer auseinander, doch scheinen sie sich in diesem unkonventionellen Dokumentarfilm zu einem einzigen magischen Ort zu verbinden. Der junge Schweizer Nicolas Steiner erzählt darin vom "unbekannten Amerika", Geschichten von Überlebenskünstlern, Randexistenzen, Aussteigern und Träumern.

Da gibt es zum Beispiel ein Paar, das sich in den Abwasser-Bauch von Las Vegas zurückgezogen hat. Oder einen einsamen Schlagzeuger, der in der Wüste (über)lebt. Zu den Sonderlingen, die ihr Dasein lieber über oder unter der Erde fristen, als auf dieser selbst, gehört auch eine junge Irak-Kriegs-Veteranin, die sich ernsthaft darauf vorbereitet, Richtung Mars zu emigrieren.

Diese höchst skurrilen Lebenswelten ergeben einen halluzinierenden Film-Essay von fremdartiger Schönheit, der an amerikanische Mythen von Cowboys, Geistern und Außerirdischen erinnert.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: CH/D/USA 2015. 119 Min. Von Nicolas Steiner. Mit Edward Cardenas, Cynthia Goodwin.

KURIER-Wertung:

"The Jungle Book": Vorbei ist die Gemütlichkeit
Skurrile Lebenswelten in den USA: „Above and Below“

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