"The Forbidden Zone": Theater als inszenierter Film

Enthusiastisch: Salzburgs Schauspielchef Bechtolf
Sven-Erich Bechtolf über "The Forbidden Zone" bei den Salzburger Festspielen.

Sven-Eric Bechtolf ist enthusiastisch: Es ist dem Salzburger Schauspielchef ein besonderes Anliegen, für die Produktion "The Forbidden Zone" zu werben. Die Inszenierung von Katie Mitchell befasst sich mit der Rolle von Frauen in den Weltkriegen.

Einerseits geht es um die Lebensgeschichte der berühmten jüdisch-deutschen Chemikerin Clara Immerwahr, die sich das Leben nahm, als von ihrem Mann entwickeltes Kampfgas im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kam. Außerdem wird die Geschichte der amerikanischen Autorin Mary Borden erzählt, die im Ersten Weltkrieg ein Feldspital leitete.

Sven-Eric Bechtolf: Ich verspreche mir sehr viel von dieser Aufführung. Katie Mitchell hat das System ihrer denkwürdigen Wirkungs- und Wirklichkeitsüberprüfung mit Kameras und Live-Performance auf die Spitze getrieben. Da ist etwas sehr Besonderes im Entstehen.

KURIER: Katie Mitchell dreht sozusagen live einen Film, während eines Theaterstücks.

Viel radikaler, als Katie Mitchell den Realismus bricht, kann man es sich kaum vorstellen. Auf der einen Seite völlig wirkungsversessen, der Großaufnahme vertrauend – und auf der anderen Seite bloßlegend, wie diese Großaufnahme gefertigt wird. Theater untersucht immer auch Wirklichkeit – wie wir sie wahrnehmen oder auch nicht wahrnehmen können. Und es überprüft unsere Fähigkeit zur Empathie jenseits der Spiegelneuronen.

In dem Stück geht es um die Rolle der Frauen im Weltkrieg.

Die Front war für Frauen eine "forbidden zone." Der Titel ist dem Buch der Schriftstellerin Mary Borden entliehen, die als Lazarettschwester an der Westfront die "verbotene Zone" betreten durfte oder musste. In diesem Fall bezeichnet der Titel auch eine ethische Tabuzone. Es geht in dem Stück um die jüdische Chemikerin Clara Immerwahr, die sich aus Verzweiflung über die Verantwortung ihres Mannes für den Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg umbringt. Das wird aus der Perspektive ihrer Enkelin, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt, die sich ebenfalls das Leben genommen hat, nachdem ihr klar wurde, dass ihr Großvater an der Entwicklung von Zyklon B beteiligt war.

Es ist doch eigentlich unbegreiflich, dass wir die Fähigkeit hatten, nach den Kriegen und nach dem Holocaust, weiterzuwursteln. Ich rede nicht von moralischen Kategorien, sondern von einer Dimension des Grauens, dem wir völlig hilflos gegenüberstehen. Den Umstand zur Kenntnis zu nehmen, dass alles, was wir darüber sagen und tun, inkommensurabel ist, und dann weiterzumachen – das ist eine sehr eigenartige Fähigkeit. Das Stück leuchtet in diesen Bereich hinein. Dass es eine Schuld gibt, die ein Mensch möglicherweise nicht aushalten kann, auch wenn es nicht die eigene ist.

Es gibt ja die Behauptung: Frauen würden nie Krieg führen.

Ich weiß nicht. Hätten sich matriarchale Strukturen durchgesetzt, hätte es wahrscheinlich auch Kriege gegeben. Aber es geht ja nicht darum, wer von Natur aus „schlechter“ ist – sondern um die Frage, ob wir einander in Gleichberechtigung und Gleichbeteiligung nicht besser machen. Ich glaube das.

Wie ist das im Kunstbetrieb?

Meine wichtigsten Regisseure waren Frauen – Ruth Berghaus und Andrea Breth. Für mich als etwas gockeligen Mann ist es angenehm, mir bestimmte Federn gar nicht erst anstecken zu müssen. Wenn ich mit einer Frau arbeite, kommen bestimmte reflexhafte Rivalitäten nicht auf. Es geht meist um die Sache. Überdies haben – meiner Erfahrung nach – Frauen bessere soziale Fähigkeiten. Ich harmoniere besonders gut mit Helga Rabl-Stadler und ohne meine Mitarbeiterinnen im Schauspielbüro wäre ich ohnehin erledigt. Ich lebe nur noch gelegentlich in der Männerwelt.

Duncan Macmillan schrieb in Zusammenarbeit mit Regisseurin Katie Mitchell den Text (der 34-jährige Autor und Regisseur hat mit Mitchell schon mit viel Erfolg zusammengearbeitet). Im Mittelpunkt der Handlung stehen Claire Haber und ihre Großmutter Clara Immerwahr. Beide waren Chemikerinnen, beide nahmen sich das Leben, weil sie die Verwicklung ihrer Familie in die Produktion von Kampfgas sowie die Entwicklung des KZ-Gases Zyklon B nicht verkrafteten.

Das Stück bezieht Schriften etlicher einflussreicher feministischer Autorinnen aus dieser Zeit mit ein – wie etwa Virginia Woolf, Emma Goldman, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir sowie der amerikanischen Romanautorin und Lyrikerin Mary Borden, deren Sammlung literarischer Skizzen, die ihre Erfahrungen als Leiterin eines Feldspitals in Flandern widerspiegeln, dem Stück den Titel geben.

Die Koproduktion der Festspiele mit der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz hat heute bei den Salzburger Festspielen auf der Perner Insel Premiere. Regisseurin Mitchell inszeniert das Stück als live auf der Bühne gedrehten Film: Das Geschehen auf der Bühne wird mitgefilmt und in Großaufnahmen auf eine Leinwand projiziert. Gespielt wird auf Englisch und auf Deutsch, zum besseren Verständnis gibt es Übertitel.

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