Taylor Swifts neues Album: Das Showgirl, die Sugar Daddys und der Zauberstab

Noch bevor Taylor Swifts neues Album heute, Freitag, morgen erschienen ist, haben sich 5,6 Millionen Spotify-User „The Life of a Showgirl“ vorab gespeichert. Das war ein Rekord. So wie Taylor Swift selten etwas tut, ohne irgendeinen Rekord aufzustellen. Doch wie klingt das so sehnsüchtig erwartete Album, das schon seit Wochen mit allerlei Sonderversionen und orangem Glitter beworben wurde?
Faketragik
Auf jeden Fall freundlicher und tanzbarer als sein düsterere Vorgänger „The Tortured Poets Department“ aus dem Vorjahr. Taylor Swift hat sich - wie schon bei „Reputation“ (2017) und „1989“ (2014) - wieder mit Hitfabrikant Max Martin zusammengetan, und das hört man schon dem ersten Song „The Fate of Ophelia“ an. Der lässt einen in den allerersten Takten glauben, dass er eine finstere Ballade über eine in der Liebe nicht so erfolgreiche Shakespeare-Heldin werden könnte, aber weil Swift endlich den richtigen Mann gefunden hat, muss sie nicht mehr in „Melancholie ertrinken“. Und deswegen klingt dieser Song nach seinem Faketragik-Auftakt ganz schnell danach, wie Popmusik heute eben klingt (und auch ein bisschen nach Lana del Rey) und hat einen ohrwurmtauglichen Refrain. Nach dem Showgirl aus dem nassen Grab widmet sich Swift im nächsten Song einer Showgröße aus dem alten Hollywood - glamouröser als Liz Taylor ging schließlich lange nicht. In „Elizabeth Taylor“ fragt Swift ausgerechnet die legendär oft verheiratete Schauspielerin „Is it forever?“ - denn wenn nicht, müsste sie sich die Augen so violett weinen, wie sie die Taylor von Natur aus hatte.

Fans im Kino bei der Premiere des Films, der den Album-Release begleitet.
Weißrosablau
Aber schon im nächsten Lied „Opalite“ ist alles gut: Opalithe sind synthetische Steine, die schillern wie Fischschuppen, wenn die Kühlkette unterbrochen war. Aber sie sind jedenfalls heller als Onyxe, denn die sind echt so richtig schwarz. Und so dunkel waren die Nächte, bis endlich die wahre Liebe den Himmel weißrosablau-schimmernd erleuchtet hat (also wie auf Swifts Albumcover von „Lover“ 2019). Mama hat schon immer gesagt, da muss sie halt durch. Unter diesem Refrain hört man leise die 50er-Jahre wummern. Ein Song, der die Schmucksteinindustrie freuen wird, müssen doch nun ganz neue Perlensorten in die Freundschaftsarmbänder der Swifties eingeklöppelt werden.
In „Father Figure“ geht es um eine weniger schillernde Facette des Showgirl-Daseins: In recht liebliche Klänge gehüllt erzählt Swift in effektreichem Kontrast - musikalisch inspiriert von George Michaels Song von 1987 - von selbsternannten Mentoren und ihrer Macht über Protegées: „Just step into my office / I can make deals with the devil because my dick’s bigger / this love is pure profit“ heißt es da etwa. In Anbetracht des kürzlich eingefahrenen Triumphs der Popsängerin, die lange um ihre Masterbänder kämpfen musste, ist es gar kein Wunder, dass dieses Lied eines der muntersten des Albums ist. Man kann auch gut auf Gräbern von Sugar Daddys tanzen.

Eigentlich ganz süß
Ähnlich ist „Actually Romantic“ gestrickt: Der Song startet mit grantigen Gitarren, denen man anhört, dass sie kurz vorm Wutausbruch sind. Dann wird eine Melodie draus, die zum Soundtrack des 1999er-Films „10 Dinge, die ich an dir hasse“ gehören könnte (das war ein sehr guter Soundtrack). Hier geht es um einen Ex, der sie als „Boring Barbie“ bezeichnet hat - Spekulationen über seine Identität werden Medien und Fans mindestens zwei Wochen beschäftigen -, aber wenn ein Mann seine Freunde lange nach dem Aus immer noch nur über die Eine zulabert, dann ist das „Actually Romantic“, also eigentlich voll süß. Der Song ist übrigens nicht der einzige, in dem Swift auf „Life of a Showgirl“ ein bisserl ein Schweinderl ist: Da kommen nach und nach feuchte Höschen, geöffnete Oberschenkel und ein Zauberstab vor.
Apropos Zauberstab: Die meisten gar nicht so versteckten Easter Eggs über die Beziehung zu ihrem Verlobten Travis Kelce haben Beobachter schon jetzt in „Wood“ gefunden. Zum Beispiel eine Erwähnung von New Heights, so heißt der Podcast des Footballstars, in dem Swift auch das neue Album angekündigt hatte. In dem Song, der so beginnt, als würde gleich der kleine Michael Jackson auf die Bühne wirbeln, kann Swift ihr Glück über ihren Bald-Ehemann gar nicht fassen, sie klopft lieber (als tatsächliche Refrainuntermalung) abergläubisch auf Holz - wie es schon Eddie Floyd in den 1960ern für die Musikgeschichte wahrscheinlich nachhaltiger gemacht hat („Knock on Wood“).
Geht es um Wien?
Im Vorfeld wurde gemutmaßt, dass „CANCELLED!“ sich auf die wegen Terrorwarnung abgesagten Konzerte der Eras-Tour in Wien beziehen könnte - zumal Swift die Songs auf dem europäischen Part ihrer Tournee geschrieben haben soll. Das hat sich nicht bewahrheitet, auch wenn es im ersten Moment mit der Liedzeile „But they'd already picked out your grave and hearse“ („Aber sie hatten schon dein Grab und deinen Leichenwagen ausgesucht“) danach klingen mag.
In „CANCELLED!“ geht es vielmehr um die Kulurpraxis, die Debatten in unserer Zeit seit längerem verunmöglicht. Also: Könnte es gehen. Bei Swift wird das freilich reduziert auf eigene Befindlichkeiten, auf unfair empfundene Be- und Verurteilungen durch die Massen (und Medien). Deswegen mag sie ihre Freunde am liebsten gehüllt in „Gucci und Skandale“, mit „Matching Scars“, Narben, wie sie sie hat. Eine der lustigsten Zeilen des Albums findet sich hier: „Oder bist du mit einer winzigen Violine zu einem Messerkampf gekommen“ (eine Anspielung auf das berühmte Zitat aus dem Film „Die Unbestechlichen“: „Wer kommt mit einem Messer zur Schießerei…“)
Neue Hymne
Dass Swift der wohl ungecanceltste Popstar aller Zeiten ist, spielt in der Wahrnehmung keine Rolle. Auch wenn gerade dieser Song textlich reichlich abgehoben ist, wird er ihren Fans sicher zur neuen Hymne gereichen, immerhin singt sie von „Friends“, und wer will das nicht sein. Irgendwelche Narben findet jeder.
Kurios mag es schon erscheinen, dass eine so elementare Bedrohung wie ein verhinderter Anschlag auf ein Konzert so gar nicht Eingang gefunden hat auf das Album einer Sängerin, die ihre Kunst so offenherzig aus ihren persönlichen Dramen speist. Vielleicht hat sich das aber auch schlecht eingefügt in den weißrosablau schimmernden Opalithimmel und die optimistische Grundstimmung dieses Albums. Da passt schon besser der als als Rausschmeißer fungierende Titelsong „The Life of a Showgirl“, ein Duett mit Sabrina Carpenter. Der erzählt von jenen guten Ratschlägen, dass man es, wenn man „weicher als ein Kätzchen“ ist, besser mit dem Showbusiness lassen sollte. Das haben sich ja beide nicht zu Herzen genommen.
Die orange Glitzer-Ära von Taylor Swift ist also eröffnet. Es ist eine lebensbejahend-siegessichere Ära, sie kommt mit viel Hauchsprechgesang, einigem Dramatusch, lauernden Gitarren, Beatzitaten aus den 50ern bis 70ern und auch 90ern daher. Die Klangvisitenkarte ist durchaus erkennbar - wenn auch manchmal etwas gleichförmig. Dass sich das Showgirl in „Wi$h Li$t“ - während andere von Yachten, einem Oscar oder einem Vertrag mit Real Madrid träumen - doch nur ein ruhiges Leben mit dem Liebsten und einem Haufen Kinder wünscht, passt in die Zeit. Ob man das enttäuschend findet, muss jeder für sich entscheiden.
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