Von Susanne Zobl
Die Vertonung von Voltaires Tragödie „Tancredi“ verschaffte dem jungen Gioachino Rossini einen seiner ersten großen Erfolge. Dass diese Oper heute fast nicht mehr aufgeführt wird, ist kein Wunder. Denn die Handlung ist vertrackt und die Musik, vor allem die Dichte an Koloraturen, stellt höchste Ansprüche an Ausführende und Publikum.
Der designierte Volkstheater-Direktor, Regisseur Jan Philipp Gloger, gibt sich Mühe, diese einzulösen. Ganz entschlüsselt er den Plot zwar auch nicht, aber er lässt ihn zumindest logisch erscheinen. Worum geht’s? Anno 1005 verbünden sich im sizilianischen Syrakus zwei verfeindete Adelsfamilien gegen einen dritten Feind. Um den Bund zu besiegeln, fordert der eine, Orbazzano, Amenaide, die Tochter seines ehemaligen Widersachers, Argirio, als Ehefrau. Doch die verweigert ihm vor dem Altar das Ja-Wort, denn sie liebt Tancredi. Der düpierte Bräutigam findet ein Mittel, Amenaide als Verräterin vorzuführen und fordert die Todesstrafe für sie. Tancredi rettet sie, sucht aber am Ende selbst den Tod in der Schlacht.
Frauenliebe
Tancredi, eine Hosenrolle, ist bei Gloger eine Lesbe, die sich als Mann verkleidet und Amenaide begehrt. Ihre Liebe scheint aussichtslos, denn in diesem Milieu wird diese Art von Frauenliebe nicht geduldet. Das wäre aber in einer mittelalterlichen Gesellschaft nicht anders.
Ben Baurs Drehbühne ist authentisch einem abgewohnten, verfallenen italienischen Palazzo nachempfunden, Marien-Altar, Folterkammer inklusive. Mit seiner präzisen Personenführung lässt Gloger Figuren, wie man sie aus Krimi-Serien kennt, auftreten. Das sorgt für eine gewisse Kurzweil, würde für Netflix funktionieren, mutet aber etwas seltsam an, wenn grobschlächtige Typen den Operntext intonieren. Der nahezu inflationäre Einsatz von Klischees – Kokain wird in Teddy-Bären versteckt, irgendjemand bedroht ständig jemanden mit einem Messer – und gut choreographierte Massenschläger-Szenen lassen keine Ruhe aufkommen. Das wird im Laufe der drei Stunden etwas fad.
Sonderkommando
Gloger hängt dann auch noch das dramatische Finale, das Rossini für eine Aufführung in Ferrara komponiert hat, an und lässt ein Sonderkommando der Polizei den Drogenring sprengen, während Titeldarstellerin Anna Goryachova ihre endlos erscheinende Todesszene abwickelt. Das gelingt mit ihrem dunklen, aber zuweilen etwas matten Mezzosopran ganz gut. Dass sie ihre Liebe zu Amenaide auf ein Leintuch mit zwei wie zu Eheringen verbundenen Weiblichkeitssymbolen sprayt, grenzt ans Banale. Die Beste in dieser Produktion ist Mélissa Petit. Betörend intoniert sie ihre Koloraturen. Ihr in allen Lagen, auch in ganz hohen, golden timbrierter Sopran überstrahlt alles.
Antonino Siragusa zeigt als Argirio, der seine Tochter verurteilen soll, echte Emotionen, bleibt aber stimmlich hinter dem Darstellerischen zurück. Andreas Wolf, der am Vorabend als Eremit im „Freischütz“ auftrat, überzeugt mit seinem Bass als brutaler Unhold Orbazzano. Laura Polverelli ergänzt solide als Isaura. Der von Lukáš Vasilek gut einstudierte Prager Philharmonische Chor schöpft seine Möglichkeiten aus.
Harte Akzente
Dass Dirigentin Yi-Chen Lin regelmäßig beim Rossini-Festival in Pesaro gastiert, wie im Programmheft angegeben ist, ist ihrem Dirigat nicht anzumerken. Manche Szenen zelebriert sie am Pult der Wiener Symphoniker über Gebühr, wie etwa die Sterbeszene von Tancredi. Dass sie auf harte Akzente und Präzision setzt, ganz so als würde sie jede Passage mit einem Lineal ausmessen, geht auf Kosten des Charmes von Rossinis funkelnder, berührender Musik.
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