Taktvolle Friedensbotschaften: Wie das Neujahrskonzert Kult wurde

Christian Thielemann (hier bei den Proben) leitet am 1. Jänner 2024 bereits zum zweiten Mal das  Neujahrskonzert
Jedes Jahr sorgen die Wiener Philharmoniker für ein einzigartiges Erlebnis. Die Liste der bisherigen Dirigenten ist lang und für Klassikliebhaber so ziemlich das Beste vom Besten.

„Sie führen zurück in meine frühe Kindheit. Zu Hause in Berlin habe ich gefühlt alle Neujahrskonzerte gesehen, solange meine Erinnerung reicht. Die große Bedeutung war mir schon bewusst, bevor ich Dirigent wurde. Ich war fasziniert von den für mich immer neuen Stücken. In Berlin wächst man nicht mit diesem Repertoire auf. Das war eine Bereicherung, noch dazu mit einem Orchester dieser Güte, das mit Hingabe diese angeblich leichte Musik spielt. Faszinierend war ein ganz anderer Klang als der, den ich bisher gehört hatte. Das kann man so nur in Wien!“ Christian Thielemann über seine Erinnerungen (aufgezeichnet von Annette Frank und Silvia Kargl, Anm.) an seine ersten Neujahrskonzerte im Fernsehen.

Emotionen

Am 1. Jänner 2024 steht der nunmehrige Stardirigent zum zweiten Mal (nach 2019) bei diesem Großereignis am Pult der Wiener Philharmoniker. Ein Ereignis, das im Laufe seiner 84-jährigen Geschichte die großartigsten Emotionen geweckt und mit den besten Dirigenten das neue Jahr musikalisch eingeläutet hat.

Dabei begann alles am 31. Dezember 1939 in Zeiten von Diktatur, Terror und Krieg. Ein „außerordentliches Konzert“, ausschließlich den Werken der Strauß-Dynastie gewidmet, unter der Leitung von Clemens Krauss war die Initialzündung. Der Reinerlös wurde übrigens zur Gänze der nationalsozialistischen Spendenaktion „Kriegswinterhilfswerk“ gewidmet. 1941 wurde die Philharmonische Akademie „Johann-Strauß-Konzert“ (wieder mit Krauss) am 1. Jänner veranstaltet und von den Nationalsozialisten via Rundfunk als Propagandamittel missbraucht.

Taktvolle Friedensbotschaften: Wie das Neujahrskonzert Kult wurde

Clemens Krauss (hier 1953) dirigierte das erste Neujahrskonzert und viele weitere

Ära

Nach dem Krieg dirigierte Josef Krips zwei Mal das Konzert der Konzerte, ehe Krauss nach Aufhebung seines Dirigierverbots zurückkehrte und bis 1957 sieben weitere Konzerte leitete. Danach begann die Ära von Konzertmeister Willi Boskovsky, der nach dem Tod von Krauss 25 Jahre lang zu Neujahr mit der Geige in der Hand den Takt angab. Nach Boskovskys gesundheitsbedingtem Abgang übernahm ab 1980 Lorin Maazel bis 1986 das Ruder. Seitdem wird jährlich gewechselt, die Sternstunden waren dennoch fast immer vorprogrammiert.

Und die Liste der Gastdirigenten liest sich wie das Who is Who. So dirigierte bereits 1987 Herbert von Karajan – er war zuvor im Unfrieden aus Wien geschieden – sein einziges, denkwürdiges Neujahrskonzert. Mit Claudio Abbado, Carlos Kleiber, vor allem jedoch mit Zubin Mehta (fünf Mal) und Riccardo Muti (bis dato fünf Mal) oder dem viel zu früh verstorbenen Mariss Jansons (leider nur drei Mal) wurde ein Pool von Lieblingsdirigenten gefunden. Wobei Riccardo Muti im Jahr 2021, in Zeiten der Pandemie, für einen Gänsehautmoment sorgte. Ohne Publikum, im leeren Saal spielten die Damen und Herren der Wiener Philharmoniker unter seiner Leitung – das war tief bewegend, ging unter die Haut und wurde nicht nur mit einer KURIER-Romy belohnt.

Taktvolle Friedensbotschaften: Wie das Neujahrskonzert Kult wurde

Ein singulärer Auftritt: Herbert von Karajan gab 1987 sein einziges Neujahrskonzert

Weitere, gern eingeladene Dirigenten gefällig? Daniel Barenboim oder Georges Prêtre, natürlich auch Franz Welser-Möst und eben Christian Thielemann. Sie alle kamen bzw. kommen mehrfach. Auf nur ein Konzert hingegen brachten es Seiji Ozawa, der damals (2017) noch viel zu junge (?) Gustavo Dudamel und Andris Nelsons. Letzterer aber hat ja noch Chancen.

Experiment

Einschneidend in der Historie des Klassikers war die Begegnung der Wiener Philharmoniker mit Nikolaus Harnoncourt. Ein Pionier des Originalklangs bei diesem Event am Pult? Viele Menschen fanden das Experiment gelungen, andere lehnen es bis heute noch eher ab. Harnoncourt selbst lehnte übrigens auch etwas ab und brach mit einer lieb gewonnenen Tradition. „Radetzkymarsch“ nicht nur am Ende als Zugabe, sondern als 1. Stück – und ohne Mitklatschen. Das glich einer Revolution.

Womit wir wieder in der Gegenwart und bei Thielemann wären. Unter seiner Ägide darf auch 2024 beim Finale mitgeklatscht und das neue Jahr gefeiert werden.

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