Sven-Eric Bechtolf: "Wir stellen etwas Unnützes her"

Sven-Eric Bechtolf, 56, Schauspieler, Regisseur, Theatermacher: Für die Direktion des Burgtheaters habe er sich nicht beworben. Seiner Ansicht nach solle Karin Bergmann bleiben
Salzburgs Schauspielchef und Interims-Leiter Sven-Eric Bechtolf über Kunst, Geld, Burg.

Bechtolf kommt von der "Giovanni"-Probe und ist erkältet. Dennoch brennt der Regisseur und Theatermacher merkbar für seine Arbeit.

KURIER: Salzburg ist in der merkwürdigen Situation, dass es derzeit drei Intendanten gibt: Alexander Pereira, der heuer seine letzte Spielzeit hat, Markus Hinterhäuser, der 2017 übernimmt – und Sie, der die beiden Jahre dazwischen leitet. Wie ist die Zusammenarbeit?

Sven-Eric Bechtolf: Es funktioniert viel einfacher, als man sich das vielleicht vorstellt. Alexander Pereira ist derzeit auf der Kommandobrücke und mein Vorgesetzter. Ich leite die Schauspielabteilung und bereite mit Helga Rabl-Stadler gemeinsam 2015 und 2016 intensiv vor. Markus Hinterhäuser kommt sozusagen über eine Seitentreppe an Bord und muss 2017 vorbereiten. Da Hinterhäuser und ich uns gut verstehen, werden wir sicher keine Probleme haben, uns abzustimmen.

Der Erste Weltkrieg ist im Erinnerungsjahr 2014 natürlich auch Hauptthema in Salzburg. Kann Theater Auseinandersetzung mit Geschichte leisten?

Nein, wir "leisten" gar nichts! Wir stellen etwas zutiefst Unnützes her – von dem man später weiß, dass es das Wichtige war. Es haben ja nicht die Generäle, Staatssekretäre und Zollkommissäre die Zeiten überdauert – sondern Mozart, Brahms, Wagner, Beckett und Tschechow und so weiter. Sie zeugen von unserer Kultur mehr als die sogenannten "Leistungsträger".

Derzeit wird aber nur darüber diskutiert, welche messbare Leistung das Theater bringt und was es kostet.

Geld ist ein Mittel, kein Zweck. Die Kunst nimmt die Umwidmung des Geldes vom Unwesentlichen zum Wesentlichen vor. Vom Messbaren zum Unschätzbaren. Eine Welt, deren Fetisch das Geld geworden ist, ist immer schwerer von der Notwendigkeit dieses scheinbaren Entwertungsvorgangs zu überzeugen. Aber gerade die Bereitschaft der Gesellschaft, das Eigentliche zuungunsten des Uneigentlichen zu stärken, ist ein Ausweis ihrer Humanität und ihrer Kultur.

Dennoch müssen Sie sich mit dem Geld befassen als Festspielleiter.

Man kann ja nicht so tun, als wäre man nicht auf der Welt. Ich bin verpflichtet, im Interesse der Institution und der Kunst zu kämpfen, manchmal auch rabiat zu kämpfen. Selbstverständlich haben die Steuerzahler ein Anrecht darauf, dass wir mit ihrem Geld sorgfältig umgehen. Aber es bleibt die Tatsache, dass wir etwas herstellen, das in Zahlen nicht evaluierbar ist. Dazu brauchen wir ein Bekenntnis. Wir sind von der Einsichtsfähigkeit und der Bereitschaft der Politiker abhängig, jenseits der Nutzbarkeitserwägungen Kunst zu wollen.

Wie sehen Sie das, was am Burgtheater passiert ist?

Die Debatten um das Burgtheater haben uns sicher nicht genützt. Ich möchte dazu nur eines sagen: Das Burgtheater wäre auch ohne eigene Verfehlungen in Not geraten – die Verfehlungen sind aus der Not und nicht andersherum entstanden.

Ist die zwangsläufige Folge der Verknappung der Mittel die kreative Buchhaltung?

Ja, so man nicht die Nerven hat zu sagen: Ihr müsst ohne mich weitermachen.

Würden Sie das sagen?

Ja. In meinem Vertrag steht, dass ich Schaden von den Festspielen abzuwenden habe. Das bedeutet, dass ich, wenn ich sehe, dass ich alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe, laut sagen muss: Ihr fügt dieser Institution Schaden zu, und dieser Schaden ist irreversibel. Dabei darf ich nicht mitmachen.

Bringt die Krise auch Chancen?

Viele sagen jetzt: "Das ist eine Chance für einen Umbau, für einen Neubeginn." Diese Stimmen kommen vielleicht aus einer tief sitzenden Elitefeindlichkeit. Aber wir brauchen Eliten – wir brauchen Eliten bei Ärzten und bei Astrophysikern, und wir brauchen Eliten bei Sopranistinnen, Regisseuren und Schauspielern. Was aber nicht heißt, dass unsere Institutionen nur den Eliten offenstehen. Im Gegenteil! Das erklärte Ziel unserer Elite ist doch, so viele Menschen wie irgend möglich zu erreichen.Wenn wir die Strukturen zerstören, die zu einzigartigen künstlerischen Hervorbringungen geführt haben, werden sie nie wieder erstehen. Was wir jetzt aufgeben, wird für immer verloren sein.

Reicht das Budget in Salzburg jetzt aus?

Die Erhöhung, die uns jetzt gewährt wurde, geht davon aus, dass sie ein Loch schließt, das trotz einer konkurrenzlos hohen Sponsoraktivität besteht. Fallen uns aber Sponsoren aus, vergrößert sich das Loch.

Wie sich gerade zeigt: Das Young Director’s Project gibt es künftig nicht mehr, weil der Sponsor ausgestiegen ist.

Und plötzlich wird etwas gewaltig fehlen. Das Unfertige, das Werdende, das Experiment, das Risiko. Das bedauere ich wirklich sehr. Wir arbeiten jetzt in einem finanziell realistischen Bereich, ob wir damit durchkommen, werden die kommenden Monate weisen. Was man nicht vergessen darf: Wir haben eine ziemlich konkurrenzlose Eigenwirtschaftlichkeit zwischen 75 und 78 Prozent. Bei den meisten Theatern ist das Verhältnis umgekehrt.

Interessiert Sie die Burg? Sie werden oft als möglicher neuer Direktor genannt.

Nein. Ich finde, dass Karin Bergmann weitermachen sollte. Ich möchte wahnsinnig gerne wieder an der Burg spielen und auch inszenieren. Aber ich denke, dass Karin Bergmann mindestens fünf Jahre haben sollte, um das Haus wieder auf Kurs zu bringen. Fünf Jahre wären eine gute Zeit, alles in Ordnung zu bringen. Ich habe mich nicht beworben.

Aber vielleicht sind Sie gefragt worden.

Wäre ich gefragt worden, dann hätte ich gesagt, was ich Ihnen eben gesagt habe. Ich habe in Salzburg sehr viel gearbeitet, habe noch zwei Jahre vor mir und weiß gar nicht genau, wie mein Leben danach weitergehen soll. Ob ich schon bereit bin, in die nächste Falle zu treten (lacht). Ich fühle mich der Burg sehr verbunden, habe immer das Gefühl gehabt, sie sei mein Heimat-Theater, aber ich muss nicht ihr Intendant werden.

Sie inszenieren gerade für die Festspiele den "Don Giovanni". Das ist eine der meistgespielten Opern – was reizt Sie an dem Stück, obwohl es viele gute Inszenierungen davon gibt?

Sven-Eric Bechtolf: "Wir stellen etwas Unnützes her"
Der Schauspielchef der Salzburger Festpiele, Sven-Eric Bechtolf, spricht am Freitag (11.11.11) in Salzburg bei der Jahrespressekonferenz der Salzburger Festpiele in der Felsenreitschule hinter einer Karaffe mit Wasser. Die Salzburger Festspiele finden vom 20. Juli bis zum 2. September 2012 statt. In dieser Zeit sind 232 Veranstaltungen an 15 Spielorten geplant. Foto: Kerstin Joensson/dapd
Verzeihen Sie die Gegenfrage, aber gibt es wirklich so viele gute "Giovanni"-Aufführungen? Es gibt viele gute Figaros, es gibt viele gute Cosìs. Aber gibt es so viele gute Giovannis? Ich glaube, dass die Opernkenner eher sagen würden: So wirklich befriedigend gelingt diese Oper nie. Das liegt daran, dass sie ein disparates Rätsel ist. Sie ist keine Rechenaufgabe, die man im Schweiße seines Angesichts zu einer Gleichung bringt, die endlich aufgeht. Sie bleibt immer ein fremder, roher, eigenartiger Klotz, den man immer neu beleuchtet.

Wie gehen Sie an diesen Klotz heran?

Ich habe den Sängern gesagt: Wir können es gar nicht richtig machen. Wir können nur interessante Fehler begehen. Wir können gute Fragen stellen. Die Unerlösbarkeit dieses Stückes hängt, glaube ich, u. a. mit ihren drei unterschiedlichen Stilen zusammen. Da ist einmal das Barocktheater mit Himmel und Hölle. Dann gibt es die Comedia dell’ arte, die das Drama zum Dramma giocoso macht. Und dann gibt es sehr interessante psychologische Elemente, die allerdings weniger an Giovanni und dem Komtur festzumachen sind, sondern mehr an all den Figuren, die zwischen diesen Polen flottieren.

Welche Elemente?

Ich persönlich glaube, dass jede Gesellschaft ihr Verhältnis zwischen Freiheit und Staat, zwischen Individuum und Religion, zwischen Sittlichkeit und Libertinage mit einer Figur wie Giovanni befragt und verhandelt. Das Werk ist zwei Jahre vor der französischen Revolution entstanden. Fragen Mozart und Da Ponte nicht ihren Protagonisten ängstlich: Freiheit – zu was? In einer Zeit, in der Kant sagte, die Aufklärung sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Inwiefern ist die selbst verschuldet, wenn die Sexualität eine derartige Großmacht ist? Wie dunkel sind unsere Affekte in Wirklichkeit?

Was macht das Stück so beliebt?

Auf der Folie von Verbrechen, Finsternis, Endlichkeit und Verdammung, entsteht paradoxerweise das Bild der Lebenslust, Lebensgier und Lebensfreude. Das gibt dem Stück seine Vitalität, und diese Vitalität ist ansteckend.

Im Vorjahr gab es Aufregung um den Ausstieg des Dirigenten Franz Welser-Möst aus dem Da-Ponte-Zyklus. Dadurch ergab sich eine schöne neue Möglichkeit, in der Zusammenarbeit mit Christoph Eschenbach?

Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Franz … das war also eine erzwungene neue Möglichkeit! Aber ich arbeite genauso gerne mit Christoph Eschenbach. Ich glaube, dass wir eine sehr schlaue Aufführung der "Così" gemacht haben, deren Komplexität nicht recht begriffen werden wollte, weil sie mit dem Etikett "konventionell" abgestempelt wurde. Ich bin schon sehr gespannt, ob das Urteil bei der Wiederaufnahme nicht ganz anders lauten wird. Franz kommt ja zum Glück wieder zurück und dirigiert dieses Jahr sicher ganz meisterhaft den "Rosenkavalier". Vielleicht kann man jetzt, mit einem etwas freierem Blick, unserem Da-Ponte-Zyklus beim Entstehen zusehen.

Sven-Eric Bechtolf

Gilt als einer der besten Theaterschauspieler. Inszeniert vor allem Opern, etwa in Salzburg einen Mozart-Da-Ponte-Zyklus. Ist Schauspielleiter unter Festspielchef Alexander Pereira, ersetzt diesen 2014/’15 interimistisch, bevor Pereiras Interims-Vorgänger Markus Hinterhäuser übernimmt. Kompliziert? Salzburg!

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