Stuart Franklin in Wien: Wenn Bäume sprechen könnten
Preah Pilalay, Angkor Wat, Cambodia, 2022
Kaum betritt man den Ausstellungsraum, fühlt man sich beobachtet. Nicht von Menschen, sondern von Bäumen. Sie sind die Protagonisten der Bilder von Stuart Franklin, die noch bis 24. Februar in der Wiener Leica Galerie ausgestellt werden. Der britische Fotograf, der von 2006 bis 2009 Präsident der berühmten Fotoagentur Magnum war, hat dafür die Welt bereist – stets auf der Suche nach außergewöhnlichen Motiven, nach Bäumen, die schon viel gesehen haben, erleben mussten, weil sie seit über 1.000 Jahren am immer gleichen Ort verwurzelt sind. Darunter sind auch Bäume, in denen man Gesichter, Menschen entdecken kann – auch ohne Fantasie.
Ein „schreiender Baum“ – fotografiert von Franklin in Apulien (Italien).
Spurensuche
„Traces“ (also Spuren) nennt Stuart Franklin seine Arbeiten, von denen nun ein Teil in Wien zu sehen sind. Sie verdeutlichen die vielfältige Weise, in der Bäume (oder ihr Fehlen) Erinnerungen auslösen und zur Spurensuche einladen. An diesem Projekt, von dem es auch ein Buch mit mehr als 200 Aufnahmen gibt, hat der 67-Jährige drei Jahre gearbeitet. Dafür musste er auch einige Kilometer zurücklegen, denn „Traces“ nimmt einen mit zu den Walnusswäldern Kirgisistans, zu den verschlungenen Baumwurzeln von Angkor Wat, zu den Kaugummibäumen Mexikos, zu den uralten Olivenbäumen an der Mittelmeerküste und in die Heimat einiger der ältesten Bäume in England und Wales.
Erinnerungen
Natur und Naturwissenschaft spielen in Stuart Franklins Leben seit vielen Jahren eine große Rolle. "In den Wald zu gehen, ist für mich eine Art Therapie", sagt der studierte Geograf dem KURIER.
Bevor der Brite die Natur fokussierte, war er jahrelang als Fotojournalist unterwegs. Er lieferte zahlreiche Reportagen für National Geographic, war dabei, als die Katastrophe von Heysel 39 Fußballfans das Leben kostete (1985), und mit der Kamera vor Ort, als 1989 in der chinesischen Hauptstadt Beijing (damals noch Peking) die Protestbewegungen am Tian’anmen-Platz blutig niedergeschlagen wurden. An diesen Tag, es war der 4. Juni, kann er sich 34 Jahre danach noch gut erinnern: „Ich durfte damals das Hotelzimmer nicht mehr verlassen, wurde vom chinesischen Militär bewacht. Auf den Straßen rund um das Hotel gab es zahlreiche Schießereien. Von meinem Zimmer aus hatte ich aber eine gute Sicht auf das Geschehen, sah die Panzer auf die Demonstranten zurollen. Und dann war plötzlich dieser Mann mit seinem Plastiksackerl, der die Kolonne stoppte. Diesen Moment konnte ich zum Glück festgehalten“, sagt Franklin.
Während des Massakers am Tian'anmen Platz 1989 fotografierte Stuart Franklin den später Tank Man genannten Demonstranten, der die Reihe der Panzer stoppte.
Die Aufnahme konnte er aber selber nicht mitnehmen, das wäre zu gefährlich gewesen: „Die Polizei beschlagnahmte alles. Ich habe die Filmrolle dann in eine Teeschachtel gepackt – und bin abgereist. Außer Land brachte sie etwas später ein französisches Fernsehteam.“
Dass Franklin mit seinen Bildern die Welt nicht verbessern kann, habe er längst begriffen. Aber er könne dokumentieren – und damit Geschichte festhalten.
INFO: „Traces“ ist noch bis 24. Februar 2024 in der Leica Galerie Wien (Seilergasse 14) zu sehen. Der Eintritt ist frei.
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