Stuart Franklin in Wien: Wenn Bäume sprechen könnten

Bäume umwachsen eine alte Tempelruine in Kambodscha.
Der britische Fotojournalist Stuart Franklin hat für Magazine und Zeitungen gearbeitet. Seit Jahren widmet er sich verstärkt der Natur, wie eine Schau in der Leica Galerie Wien zeigt.

Kaum betritt man den Ausstellungsraum, fühlt man sich beobachtet. Nicht von Menschen, sondern von Bäumen. Sie sind die Protagonisten der Bilder von Stuart Franklin, die noch bis 24. Februar in der Wiener Leica Galerie ausgestellt werden. Der britische Fotograf, der  von 2006 bis 2009  Präsident der berühmten Fotoagentur Magnum war,  hat dafür die Welt bereist –  stets auf der Suche nach außergewöhnlichen Motiven, nach Bäumen, die schon viel gesehen haben, erleben mussten, weil sie seit über 1.000 Jahren am immer gleichen Ort verwurzelt sind. Darunter sind auch Bäume, in denen man  Gesichter, Menschen  entdecken kann – auch ohne Fantasie. 

Ein alter, knorriger Baum mit einem Loch im Stamm steht auf einer Wiese.

Ein „schreiender Baum“ – fotografiert von Franklin in Apulien (Italien).

Spurensuche

„Traces“ (also Spuren) nennt Stuart Franklin seine  Arbeiten, von denen nun ein Teil in Wien zu sehen sind. Sie verdeutlichen die vielfältige Weise, in der Bäume (oder ihr Fehlen) Erinnerungen auslösen und zur Spurensuche einladen. An diesem Projekt, von dem  es auch ein Buch mit mehr als 200 Aufnahmen  gibt, hat der 67-Jährige drei Jahre gearbeitet.  Dafür musste er auch einige Kilometer zurücklegen, denn „Traces“ nimmt einen mit  zu den Walnusswäldern Kirgisistans, zu den verschlungenen Baumwurzeln von Angkor Wat, zu den Kaugummibäumen Mexikos, zu den uralten Olivenbäumen an der Mittelmeerküste und in die Heimat einiger der ältesten Bäume in England und Wales. 

Ein Mann mit Brille hält ein Mikrofon in der Hand und spricht vor einer Kunstausstellung.

Erinnerungen

Natur und Naturwissenschaft spielen in Stuart Franklins Leben seit vielen Jahren eine große Rolle. "In den Wald zu gehen, ist für mich eine Art Therapie", sagt  der studierte Geograf dem KURIER. 
Bevor der Brite  die Natur fokussierte, war er jahrelang als Fotojournalist unterwegs. Er lieferte zahlreiche Reportagen für National Geographic, war dabei, als die Katastrophe von Heysel 39 Fußballfans das Leben kostete (1985), und mit der Kamera vor Ort, als 1989 in der chinesischen Hauptstadt Beijing (damals noch Peking) die Protestbewegungen am Tian’anmen-Platz blutig niedergeschlagen wurden. An diesen Tag, es war der 4. Juni, kann er sich 34 Jahre danach noch gut erinnern:  „Ich durfte  damals das Hotelzimmer nicht mehr verlassen, wurde  vom chinesischen Militär bewacht. Auf den Straßen rund um das Hotel gab es zahlreiche Schießereien. Von meinem  Zimmer aus hatte ich aber eine gute Sicht auf das Geschehen, sah die Panzer auf die Demonstranten zurollen. Und dann  war plötzlich  dieser Mann mit seinem Plastiksackerl, der die Kolonne stoppte. Diesen Moment konnte ich zum Glück  festgehalten“,  sagt Franklin. 

Ein Mann steht vor einer Reihe von Panzern auf einer breiten Straße.

Während des Massakers am Tian'anmen Platz 1989 fotografierte Stuart Franklin den später Tank Man genannten Demonstranten, der die Reihe der Panzer stoppte.

Die Aufnahme konnte er aber selber nicht mitnehmen, das wäre zu gefährlich gewesen:  „Die Polizei beschlagnahmte alles. Ich habe die Filmrolle dann in eine Teeschachtel gepackt – und bin abgereist. Außer Land brachte sie etwas später ein französisches Fernsehteam.“

Dass Franklin mit seinen Bildern die Welt nicht verbessern kann, habe er längst begriffen. Aber er könne dokumentieren – und damit Geschichte festhalten.

INFO: „Traces“ ist noch bis 24. Februar 2024 in der Leica Galerie Wien (Seilergasse 14) zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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