Strindberg, mutig durch den Reißwolf gedreht

Harte Sex-und Machtspiele: Sona MacDonald
Anna Bergmann zeigt "Fräulein Julie" im Theater in der Josefstadt als radikales Psychoduell.

Ob das alle Abonnenten goutieren werden? Denn so laut, schrill, brutal und explizit sexuell aufgeladen geht es im Theater in der Josefstadt bekanntlich nicht oft zu. Bei August Strindbergs "Fräulein Julie" – oder besser bei der radikalen Überschreibung dieses Dramas – aber schöpft Regisseurin Anna Bergman aus dem Vollen.

Rollenumkehr

Kein Stein bleibt in der Interpretation der jungen Deutschen auf dem anderen. Die Geschichte rund um das junge Fräulein Julie, das sich in der Laune einer Mittsommernacht dem älteren Diener Jean hingibt und von diesem letztlich in den Selbstmord getrieben wird, steht bei Bergman Kopf. In ihrer Fassung ist Julie eine ältere, sich selbst verstümmelnde, männerhassende Frau mit Borderline-Syndrom. Jean ist ein junger, berechnender, brutaler, in jeder Hinsicht im Saft stehender Gigolo. Der rein um Sex, Macht und Sadomaso-Praktiken kreisende Infight dieser beiden nimmt in Bergmanns Fassung für Jean ein tödliches Ende.

Furios hebt diese Strindberg-Paraphrase als Stummfilm mit Musik und Übertiteln an. Mit den ersten gesprochenen Worten beginnt sich die Gewaltspirale unaufhaltsam zu drehen, rückt das Geschehen auch sprachlich immer mehr ins Heute. Deutlich angedeutete Fellatio-und Kopulationsszenen inklusive, das Blut fließt. Es wird zu Hard- Rock-Musik gesungen und gegrölt, der von Julie geliebten Nebelkrähe (als reales Vogel-Abbild agiert Jan Plewka) wird flott der Kopf abgehackt, und Jeans Verlobte Kristine (schrill: Bea Brooks) mutiert zu Julies jüngerem Ebenbild.

Bocksprünge

Das klingt alles verwirrend? Ist es auch! Denn Bergmann erzählt in Katharina Faltners drehbarem Küchenbühnenbild nicht eine, sondern mindestens 20 Geschichten. Das hat Tempo, das hat Kraft, auch Witz – letztlich verzettelt sich die Regie aber in ihren Zeit-, Handlungs-, Sex- und Psychologiesprüngen. Dennoch: Das gesamte Unterfangen geht sich vielleicht nicht ganz aus, aber Bergmann will etwas, fordert Publikum wie Darsteller mutig heraus. Und diese Darsteller sind exzellent: Sona MacDonald legt ihre Julie irgendwo zwischen der Marquise Merteuil aus Heiner Müllers "Quartett", der Claire Zachanassian aus Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" und einem in die Jahre gekommenen Ex-Punk-Girl an. MacDonald spielt mit vollem Körpereinsatz bis hin zur Selbstentäußerung und findet in dem brillanten Florian Teichtmeister einen Jean auf Augenhöhe. Einhelliger Jubel bei der Premiere.

Kommentare