Es hätte (ja, ich bitte wieder einmal um Verzeihung für den pandemiebedingten Konjunktiv) ein besserer Start sein können – und auch sollen. Da plant die Wiener Staatsoper nach langer Zeit wieder einen szenischen Zyklus aller drei Mozart/Da Ponte-Opern. Soll heißen: „Don Giovanni“, „Le nozze di Figaro“ und „Così fan tutte“ in einer Hand, also in den Inszenierungen von Barrie Kosky und mit Musikdirektor Philippe Jordan bei allen drei Opern am Pult.
Was nach einem ausverkauften Haus klingt, soll jetzt wenigstens via Live-Streaming (play.wiener-staatsoper.at), via Radio Ö1 und ORFIII (20.15 Uhr) ab heute, Sonntag, die Menschen erreichen. Im Haus am Ring sind nur Mitarbeiter und wenige Journalisten – es gilt die 2-G Plus-Regel – zugelassen. Der KURIER wird berichten. Die zwei Hauptdarsteller lassen sich davon nicht beirren. Ganz im Gegenteil, wie der amerikanische Bassbariton Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und auch sein französisch-kanadischer Kollege und Bassbariton Philippe Sly (Leporello) im Gespräch betonen.
Kyle Ketelsen: „Natürlich ist es schade, dass die Premiere ohne Publikum stattfinden muss. Aber wir hatten eine wunderschöne Probenzeit, was auch Regisseur Barrie Kosky zu verdanken ist. Dieser Giovanni funktioniert auch für die Kameras sehr gut. Und beim Singen darf man nicht daran denken, dass man gefilmt wird.“ Und Philippe Sly ergänzt: „Außerdem hoffen wir, dass die nächsten Aufführungen vor Publikum stattfinden werden, und dass diese Produktion auf Tonträger und im Fernsehen dokumentiert wird, ist auch schön. Aber mit Publikum ist es natürlich immer besser.“
Abhängigkeit
Doch wie würden die beiden Künstler ihre jeweiligen Figuren – jeder von ihnen hat schon beide Rollen gesungen – charakterisieren? Ketelsen über Leporello: Ich denke, er ist ein Abhängiger, vielleicht der kleine Bruder oder ein Waisenkind, der Giovanni manchmal auch fluchend bewundert. Aber die beiden brauchen einander.“ Und Sly: „Giovanni ist für Leporello und die Welt wie Crystal Meth. Du weißt, es tut Dir nicht gut, aber Du wirst abhängiger und abhängiger. (lachend:) Privat habe ich damit übrigens keine Erfahrungen.“
Aber wie geht man mit der „Höllenfahrt“ des Don Giovanni um und wie mag es für die Überlebenden weitergehen? Ketelsen: „Ich denke, er geht einfach. Er hat genug gesehen und er wird eine große Lücke hinterlassen.“ Sly: „Ja, die Droge ist plötzlich weg, damit ist auch das Happy End zu hinterfragen. Was tun wir Giovanni-Junkies dann?.“ Ketelsen: „Aber als Mythos bleibt Giovanni bestehen. Und Mythen sterben nie. Vielleicht kommen sie auch immer wieder.“
Doch was könnte für die beiden Sänger in Zukunft an Rollen kommen, und gibt es Pläne für Wien? Beide unisono: „Es gibt Gespräche, aber da darf man nicht vorgreifen. Schön wäre es. Wien ist nicht nur künstlerisch eine besondere Stadt.“
Zu den Rollen. Ketelsen: „Irgendwann, in naher Zukunft, Richard Wagners „Fliegender Holländer“ und Arrigo Boitos „Mefistofele“. Und selbstverständlich der Wotan in Wagners „Rheingold. Dem ,Ring des Nibelungen’ muss man sich ja in meinem Fach stellen.“ Sly darauf: „Warum nur der Wotan im ,Rheingold’, nicht in der ,Walküre’ oder der ominöse Wanderer, also Wotan, im ,Siegfried’?“ Ketelsen lachend: „Weil der Wotan im ,Rheingold’ einfacher zu singen ist.“
Rollentausch
Vorerst aber gilt alle Konzentration dem „Don Giovanni“. Ketelsen: „Wir haben diese Oper beide vor drei Jahren gemeinsam in Lyon gemacht, doch jetzt müssen wir uns auch in Wien beweisen. Aber ich hoffe doch, das wird uns gelingen.“ Doch könnten sich Ketelsen und Sly auch einen Rollentausch zwischen Don Giovanni und Leporello vorstellen? Wenn wir wieder vor Publikum spielen dürfen, sind solche Überraschungen sicher möglich. Aber ich glaube, da hätte die Direktion etwas dagegen.“ Sly: „Aber lustig wäre das schon. Ich will ja nicht immer nur der Diener oder das Waisenkind sein. Ein Giovanni ist auch was Schönes.“ Ketelsen lachend: „Vorerst ist aber klar, wer hier der Boss ist.“
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