Sag mir, ...
Für einen höchst intensiven Abend ist allerdings keine derart intime Situation vonnöten. Das bewies Nigl am Donnerstag in der ausverkauften Wiener Staatsoper mit „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“. Das Konzept war jenes der „Kleinen Nachtmusiken“, umgesetzt allerdings mit Vladimir Jurowski am Flügel und Burgtheaterschauspieler Nicholas Ofczarek: Mit nur etwa zehn Fundstellen aus „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus spannte er einen Bogen von der anfänglichen Euphorie über die Erkenntnis, dass einem der Krieg gestohlen bleiben könne (wenn selbst der normale Esser nicht satt werde), bis zum völligen Wahnsinn an der Front.
Natürlich taucht zwischendurch die Kriegsreporterin Alice Schalek auf. Und Ofczarek interpretierte auch jenen Brief, den Paulus Manker in seiner überbordenden Inszenierung des Szenenreigens als Epilog brachte: Anna gesteht ihrem „inniggeliebten“ Mann, der doch nicht gefallen ist (sondern Geld schickte), von einem anderen schwanger zu sein: „Verzeihe es mir, lieber Franz, vielleicht stirbt das Kind und dann ist alles wieder gut.“ Am Ende ihres Briefes bedankt sie sich für das Geld. Sie kann es gut gebrauchen.
Nicholas Ofczarek zuzuhören, wie er nur mit Sprache und Dialektfärbung Charaktere schafft, war tatsächlich ein „Genuss“ (mit diesem Wort endete die frenetisch bejubelte Darbietung nach knapp 90 Minuten). Mit den paar heiteren Momenten – zum Beispiel über die Wucherpreise – sorgte er für einen Ausgleich zur meist sehr deprimierenden Musik.
... wo die Blumen sind
Nigl ergänzte unter anderem mit Gustav Mahlers Vertonungen von Kriegsliedern aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Und er verknüpfte den Ersten mit dem Zweiten Weltkrieg – etwa mit dem „Spruch 1939“ von Bertolt Brecht und Hanns Eisler: Ja, auch in den finsteren Zeiten wird gesungen werden – von den finstern Zeiten.
Für den berührendsten Moment sorgten Nigl und Ofczarek gemeinsam, völlig unprätentiös, mit der deutschen Version des Antikriegsliedes „Where Have All The Flowers Gone“ von Pete Seeger aus 1955, mit der Marlene Dietrich ab 1962 jede Menge Gänsehaut erzeugte: „Wann wird man je versteh’n?“ Wie sich zeigt: Leider nie. Aber das wusste auch die Dietrich, die 1964 Bob Dylan coverte: „Die Antwort weiß ganz allein der Wind ...“
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