Dieses Schicksal ereilte den irischen Pilger Koloman im Jahr 1012 auf seinem Weg nach Jerusalem: Er wird in Stockerau für einen Kundschafter aus Mähren oder Ungarn gehalten, eingesperrt und, der Sage nach, an einem Hollerbusch aufgehängt. Viele Jahrhunderte später, 1894, wird Alfred Dreyfus, einem Juden, unterstellt, Informationen ans Deutsche Reich weitergegeben zu haben. Er wird zu lebenslanger Verbannung verurteilt. Eine Revision des Prozesses können, liest man in der Schau, höchste militärische Kreise lange verhindern. Erst 1899 kommt es zu einer Wiederaufnahme. „Das Militärgericht aber ignoriert eindeutige Hinweise auf den wahren Täter und verurteilt Dreyfus erneut.“ Selbst das Museum NÖ ignoriert die Hinweise – und verzichtet darauf, die echte Spionagegeschichte zu erzählen.
Auch wenn viele internationale „Fälle“ von Mata Hari bis zu Edward Snowden angerissen werden, richten die Niederösterreicher ihr Hauptaugenmerk doch auf Ereignisse in der Umgebung. Anton David Steiger etwa etablierte Ende des 18. Jahrhunderts in der Burg Seebenstein die „Wildensteiner Ritterschaft zur blauen Erde“. Die Behörden vermuteten eine Loge der verbotenen Freimaurer und schleusten Spitzel ein. Obwohl sich keiner der Vorwürfe bestätigte, ließ Staatskanzler Metternich die Auflösung des Ordens verfügen.
Natürlich gilt auch „Das System Metternich“, der Polizeistaat, als eigener Fall. Und natürlich taucht Oberst Redl auf, der sich nach seiner Enttarnung erschießen durfte. Man stellt zudem Karl Erwin Lichtenecker „und dessen Agententätigkeit für die ČSSR“ vor. Den prominentesten heimischen Schmalspur-Spion (oder gar Doppelspion) sucht man allerdings vergeblich. Dabei hätte es zu Helmut Zilk, dem ehemaligen ORF-Fernsehdirektor, Kulturminister und Bürgermeister, viel zu erzählen gegeben: Bis 1968 soll er unter dem Decknamen Holec bei 60 Treffen mit den Tschechen gegen Bezahlung politische Informationen (der ziemlich harmlosen Sorte) weitergegeben haben.
Rupps Begründung, dass man keine Objekte gefunden hätte, um diesen „Fall“ mit Originalobjekten zu illustrieren, klingt etwas fadenscheinig. Denn mitunter muss man ohnedies auf Repliken zurückgreifen (etwa des Rubrik-Würfels mit Geheimfach für Micro-SD-Karte im Fall Snowden). Und vielfach sagt das ausgestellte Objekt rein gar nichts aus – jedenfalls nicht in Zusammenhang mit dem Spionagefall: Wir sehen zum Beispiel eine Holzstatue des heiligen Koloman und einen Glaspokal mit der aufgemalten Burg Seebenstein oder eine Brosche von Mata Hari ...
Statt einem chronologischen Parcours von den Getreidehändlern im Dienst der römischen Armee (bebildert mit einem Grabstein) bis zum Ibiza-Video und der BVT-Affäre (leider beide nicht) hätte man vielleicht die Techniken oder Themen zusammenfassen sollen. Denn es gibt ziemlich direkte Zusammenhänge zwischen den „barocken Abhöranlagen des Athanasius Kircher“ (Fall 3) und den Abhörmethoden der kommunistischen Staaten (Fall 30) – oder zwischen der konkreten Idee zu einer Chiffrier-Maschine von Gottfried Wilhelm Leibniz (Fall 4) und der „Enigma“ der Nationalsozialisten (Fall 17). Oder zwischen der Knopflochkamera aus dem späten 19. Jahrhundert (Fall 8) und den wunderbaren Mini-Kameras, die im Kalten Krieg eingesetzt wurden (Fall 28). Oder zwischen der Überwachung der Bevölkerung im Vormärz (Fall 6) bzw. in der DDR (Fall 33) und dem Chip, den man derzeit nur Tieren und Freiwilligen implantiert (Fall 39).
Eine solche Umsetzung hätte den Vorteil gehabt, dass man nicht erst zwischen Häuserschluchten (eine liebevolle, aber problematische Ausstellungsarchitektur von Checo Sterneck) durch die Jahrhunderte laufen muss, um beim Zentrum der Schau zu sein, den großartigen Objekten des deutschen Spionagesammlers Heinrich Peyers (u.a. mit einem niedlichen Verkleidungskoffer für Stasi-Spione). Dann wäre vielleicht auch das Thema „Der Spion in der Fiktion“ möglich gewesen. Nur James Bond herauszugreifen – und als „Fall“ zu präsentieren: Das tut weh.
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