Sphärenklänge von Alice, die James sein wollte

Sphärenklänge von Alice, die James sein wollte
Die Amerikanerin James Tiptree Jr. schrieb "männliche" Science-Fiction und wurde mit Kafka verglichen.

Es hieß: So kann nur ein Mann schreiben.
Unter den amerikanischen Science-Fiction-Freunden der 1960er-, 1970er -Jahren herrschte nahezu Einigkeit. Denn so maskulin war der Wunsch, die Unendlichkeit in den Griff zu bekommen.
Und der Sex mit  allen möglichen Außerirdischen.
 Und das Sterben im All ...
Aber James Tiptree Jr., der nur über  Postfach 315 in  McLean, Virginia, kommunizierte, war eine Frau.

Alice B. Sheldon, 1976 bei ihrer Enttarnung 61 Jahre alt, eine promovierte Psychologin, eine ehemals hochrangige CIA-Mitarbeiterin, weißes Haar,  damenhaft, elegant, witzig – aber jetzt zunehmend depressiv:  Denn sie fühlte ihre Autorität wegbrechen.
Der Stift, mit dem Tiptree schrieb, war ihr  Schwanz. (Das hat sie selbst so gesehen.)
Als „alte Frau“ sei man die niedrigste Form des menschlichen Lebens.
Ihr Selbstmord 1987 gemeinsam mit ihrem kranken, blinden Ehemann begann sich abzuzeichnen.
 Kurze Erzählungen waren ihre  Stärke. Weil so rasant. Auf den Punkt. Ganz ohne Füllmaterial.
Es ist der kleine,  feine Wiener Septime Verlag, der  – überraschend für derart Großes, das  sogar mit Franz Kafka verglichen wurde – das Gesamtwerk der Amerikanerin im Programm hat.
Sieben Bände mit rund 70 Geschichten Tiptrees sind schon erschienen. Und „Helligkeit fällt vom Himmel“ – der Roman aus 1985, jetzt erstmals auf Deutsch. Tiptree tat sich damit schwer, und das merkt man. Man kann  lästern über das Aufgedröselte, das uns irgendwo irgendwie sagen will: Leidenschaft sei nicht empfehlenswert, man soll auf unmögliche Sehnsüchte verzichten.
Sie selbst wollte es sich wahrscheinlich sagen.


Die Sphärenklänge aber, die beim Lesen vernommen werden,  sind etwas zuvor nie Gehörtes. Ein Gesang von Schönheit und Hoffnung und Liebe.
Und zwischendurch, da bekommt das Sphärische etwas von Pendereckis „Dies Irae“-Oratorium, wird man an Massenmorde erinnert.
Dabei steht  man bloß auf einer Hotelterrasse auf dem Planeten Damien am Rand unserer Galaxie und wartet mit extra angereisten Weltraumfahrern auf den letzten Lichtschein eines getöteten Sterns. Ein Spektakel, nur hier zu beobachten.
Den Stern haben  freilich Menschen getötet.
Und auch auf Damien hätten Menschen fast die  Bewohner (= Dameii) ausgerottet: Schmetterlingsfeen.
Wunderschöne menschliche Fluginsekten, aus deren Gefühlsdrüsen Alkohol gewonnen werden kann ... der immer besser schmeckt, je mehr Schmerzen diese Aliens erleiden.
Eine durch und durch ... männliche Fantasie.

 

James
Tiptree Jr.:

„Helligkeit fällt vom Himmel“
Übersetzt von
Andrea Stumpf.
Septime Verlag.
528 Seiten.
24,90 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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