Soziale Medien sind ein Kulturproblem

Die Volksbühne
Analyse. Wenn Kultur online vorkommt, dann wegen Streits: Was der Shitstorm rund um die Volksbühne lehrt.

Drei Wände hat die Opern- oder Theaterbühne, die kein sehr großes Problem sind; schon bei der vierten wird es aber schwierig. Das ist jene, die zwischen Publikum und Bühnengeschehen wäre, wenn dort eine wäre.

Die Fragen rund um diese "vierte Wand" haben die darstellende Kunst recht ausführlich beschäftigt.Tut man so, als gäbe es dort eine? Durchbricht man sie, indem man – wie schon Shakespeare – die Darsteller verschwörerisch zum Publikum reden lässt? Zuletzt aber hat sich eine fünfte Wand hinzugesellt, mit der niemand so recht gerechnet hätte. Und die Probleme, die diese aufwirft, lassen jene rund um die vierte Wand wie Anfängerzeug wirken: Es geht um jene mit Nachrichten, Bildern, Hassbotschaften und Persönlichem vollgestopfte "Wand", die sich dem Kulturfreund eröffnet, wenn er Facebook oder Twitter aufsucht. Also um den wandförmigen Medienstrom, in dem immer mehr Menschen leben. Und in dem es die Kultur schwerer hat, als sie verdient. Wie schwer, zeigt derzeit die Volksbühne Berlin. Dort geht es seit einiger Zeit rund: Der quasipragmatisierte Revoluzzer Frank Castorf verließ mit Ende der Saison die Bühne, und nun hat das Team des neuen Chefs die Sozialmedienkanäle übernommen.

Der Neue heißt Chris Dercon, war Direktor der Tate Modern in London – und stößt den Castorf-Anhängern sauer auf: Er stehe für glattes Konsenstheater, murmelte die Branche, in den wichtigen deutschen Zeitungen und in Theaterkreisen wurde heftig diskutiert. Was schön und gut ist, aber noch keine breite Öffentlichkeit tangiert.

Das ist Brutalität

Jetzt aber wurde die "fünfte Wand" durchbrochen, und zwar brutal: Nach den ersten Postings der Neuen ergoss sich ein Wutsturm auf Facebook, der das Bild aller Beteiligten beschädigt. Hier kollidierte mit voller Wucht die Selbstbeweihräucherungsdiktion, in die Kulturinstitutionen gerne verfallen, mit aufgestauter Emotion.

"Die Sinne schärfen. Sich ins Detail versenken. Das Gesamte vom kleinsten Teil denken. Lauschen. Flüstern. Klein werden. Raus aus dem Totalzusammenhang. Kommt zusammen!", wurde als erster Eintrag gepostet.

"Neoliberales Dummgequatsche" ist noch das Freundlichste, das zurückkam. "Vergewaltigung", "Verarsche", "armseliges Esoterikgestammel", "Luschentheater" und mehr schrieben die Freunde der alten Volksbühne auf die Facebookwand der neuen.

Die schrieb zurück: Man sei "tief schockiert" über die Beleidigungen, die hasserfüllten, vulgären und "fremdenfeindlichen" Kommentare. Man betrachte Facebook als "Chance für einen dynamischen und aktuellen Austausch".

Und genau da hakt es: Die Inhalte der Kultur verschließen sich der Behandlung in den sozialen Medien. Sie sind zu wenig fasslich, zu komplex und zu persönlich. Übrig bleiben oberflächliche Eigenwerbung der Häuser, Lobhudeleien der Fans und, wenn das nicht funktioniert, dasselbe hasserfüllte gegenseitige Bewerfen mit Schmutz wie überall sonst im Internet. Und das Bild, das die Kultur dann abgibt, beschädigt sie immens.

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