Die Starsopranistin im KURIER-Gespräch. „Im Moment vermisse ich die Bühne gar nicht. Doch das wird sich sicher ändern. Ich bin jetzt seit inzwischen fünf Wochen in die Ruhe gezwungen und kann mir wichtige Fragen stellen.“ Lachend: „Etwa: Wer bist du? Und wenn ja, wie viele?“, so die international gefeierte Singschauspielerin. Petersen: „Aber im Ernst. Ich glaube, die Krise könnte auch eine Chance sein. Ein Überdenken des bisher Gelebten.“
Denn: „Die gesamte Kulturbranche ist jetzt in den Händen der Politik. Wir sind die Opfer der politischen Entscheidungen und wissen nicht, ob und wann und wie wir wieder auftreten können. Und leider ist die Kultur das Allerletzte, an das die Politik im Moment denkt. Vor allem für viele freischaffende Künstler ist das existenzbedrohend. Aber darin liegt auch die Chance, das sprichwörtliche Hamsterrad zu durchbrechen und uns zu fragen, was wirklich wichtig ist.“
Petersen weiter: „Wir alle haben jetzt Zeit, ein wenig darüber nachzudenken, uns darüber wieder bewusst zu werden, wie wesentlich die Musik, die Kultur für unser Leben eigentlich sind. Eine neue Wertschätzung der Kunst, eine echte, neugewonnene Freude an der Sache – das ist das einzig Positive an dieser Situation. Genau jetzt wissen wir jeden Abend, was uns so fehlt.“
Von einem aber ist Marlis Petersen überzeugt: „Es wird nach der Corona-Pandemie nicht so weitergehen wie zuvor. Es ist ja schön, wenn sich die internationalen Opernhäuser mit Stars schmücken. Aber das allein macht noch keine Kunst, keine Musik. Wir sollten von den Namen weggehen und uns wieder den Themen zuwenden. Nur als Beispiel: „Ein Bühnenbild für 450.000 Euro
– braucht man das zwingend? Wäre es nicht besser, sich Alternativen zu überlegen? Und die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen? Nämlich im Hier und Heute, mit all den Nöten, die über uns hereingebrochen sind und nach dieser Pandemie noch über uns hereinbrechen werden. Da kann ein kleiner Liederabend sogar mehr bewirken als die große Ausstattungsschlacht auf der Opernbühne.“
Doch wie könnte die Musiktheaterlandschaft nach der Pandemie aussehen? „Die totale Verblendung, das Maximieren von Einnahmen in Form von auf dem Reißbrett konzipierten China- oder Japan-Tourneen wird ein Ende haben. Für die Kunstschaffenden kann nach dem Jetset-Leben eine Zeit des Erwachens kommen. Durch diese Krise können wir neue Visionen schaffen. Wir müssen raus aus diesem alten Konstrukt, hin zu den Themen, die zählen. Das Leben, die Natur, Menschen, Tiere und Pflanzen. Zu einer neuen Einheit.“
Mit ihrer auf Tonträger dokumentierten Trilogie „Dimensionen“ hat Marlis Petersen musikalisch bereits einen Weg vorgezeichnet. Da geht es um Welten und Zwischenwelten, um Mut und Eigenverantwortung. Und immer wieder um die Menschen. „Am Theater menschelt es ja an jeder Ecke. Jeder leistet seinen Beitrag dazu, dass am Ende etwas – im Idealfall – Großartiges herauskommt, das wiederum das Publikum berührt und zum Nachdenken anregt. Diese Gemeinschaft, die wir alle in der Kultur haben, sie wäre auch für die gesamte Gesellschaft ein lebenswertes Modell.“
Ja, Marlis Petersen kann sich eine finanzielle Abgabe der Superreichen an die auch durch die Pandemie unschuldig in Not Geratenen gut vorstellen. „Es braucht nun Hilfe. Nicht nur in der Kunst. Wir alle kennen das wirtschaftliche Ausmaß der Pandemie noch nicht. Viele leben von der Hand in den Mund und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Aber wir leben auf einem Planeten, darauf sollten wir uns besinnen. Die Musik kann uns dabei helfen, weil sie in ihrer Wahrhaftigkeit in unsere Herzen geht.“
Aber wann kann Petersen wieder „ihrem“ Publikum live zu Herzen gehen? „In Melbourne soll ich im August und im Oktober auch in Brüssel in der ‚Toten Stadt‘ singen. Ob und wie das gehen soll, steht in den Sternen. Aber wie gesagt: Vorläufig vermisse ich die Bühne nicht. Doch es wird mit viel neuer Energie weitergehen.“
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