Das Wettsingen zwischen Wut und "Euphoria"

Das Wettsingen zwischen Wut und "Euphoria"
Ein Song Contest der Kontroversen: Europa diskutierte die politische Lage in Aserbaidschan – und Österreich den eigenen Peinlichkeitsfaktor.

Es war sehr schön. Es macht aber auch nichts, dass es jetzt wieder vorbei ist. Nach einer Woche beim Song Contest in Aserbaidschan sehnt man sich nach drei Dingen: richtiger Musik, richtigem Kaffee und der richtigen Zeitzone.

Und nach dem Anblick eines Papierfetzerls auf der Straße. In der supersauberen Innenstadt von Baku sehen sogar die Fußgängerunterführungen aus wie Theaterfoyers. Das freut Auge und Nase, ist aber ein bisschen irritierend. Wie machen die das? Hechtet jedes Mal ein Putztrupp hinter dem nächsten Busch hervor, wenn gerade kein ausländischer Tourist in Sicht ist?

Von der schicken Fassade, die für die Zeit des Song Contests errichtet wurde, war ja schon viel die Rede. Und auch von ihren Rissen. Die sichtbar wurden, wenn man durch die Innenstadt spazierte und plötzlich Zeuge einer – wie man später erfuhr – gewaltsam aufgelösten Demonstration wurde. Oder erlebte, wie regierungsfreundliche Journalisten eine Pressekonferenz oppositioneller Menschenrechtsaktivisten aufmischten.

Schlagerdröhnung

Solche Beobachtungen sind irritierend. Man merkt aber schnell, dass man eigentlich keine Chance hat, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Wie auch? Wenn man jeden Tag viele Stunden bei aserbaidschanischen Süßigkeiten und Schlagerdröhnung im Pressezentrum herumsitzt und sich mit diesem monumentalen, seltsamen Musikwettbewerb beschäftigen soll.

Das Pressezentrum ist traditionell das Herz des Song Contests. Die Lunge. Und wahrscheinlich auch die Niere. Es wird nicht nur von hauptberuflichen Journalisten frequentiert – bewohnt, muss man vielleicht sagen – , sondern vor allem auch von Fans. Die tragen die frohe Kunde vom fröhlichen Sängerfest via Blogs und Fanzines in die Welt hinaus und maßgeblich zum Flair der Veranstaltung bei: Wer würde sonst bemalt und befahnt durch die Halle marschieren und Stimmung machen? Stundenlang ernsthaft über die Chancen einzelner Kandidaten diskutieren? Ohne die Fans wäre der Song Contest völlig uninteressant.

Stimmungsflaute

Nach Baku konnten oder wollten viele nicht anreisen – was sich merkbar auf die Stimmung niederschlug. Die bemühten, aber etwas hüftsteifen Gastgeber brachten die Party auch nicht in Schwung. (Wahrscheinlich dachten sie, der Song Contest sei in erster Linie eine Musikveranstaltung. Hätten sie vorher mal kurz in die Beiträge reingehört, hätten sie ihren Irrtum bemerkt.)

An den meisten Aserbaidschanern dürfte die Veranstaltung sowieso spurlos vorbeigegangen sein. Außer sie hatten das Vergnügen, genervte Journalisten in der Gegend herumzufahren, stunden- und tagelang irgendwelche Eingänge zu bewachen, Kekse auf Platten zu drapieren – oder mitanzusehen, wie ihre Häuser für städtebauliche Großprojekte demoliert wurden.

Und aus österreichischer Sicht war’s eigentlich wie immer. Die hohen Erwartungen zerschellten knirschend am Fels der europäischen Realität ... und dann auch noch das Knie eines Teilnehmers auf der Bühne der Crystal Hall. Bei der Auswahl des Beitrags unterlief dem ORF ein interessanter Denkfehler: Der Song, der in Europa für Aufsehen hätte sorgen sollen, erregte nur die österreichischen Gemüter. Die dafür um so mehr. Immerhin, das gute alte Trashfestival sorgte wieder für Quote und Schlagzeilen.

Die Song-Contest-Community in Baku begegnete den Trackshittaz und "Woki mit deim Popo" dagegen teils freundlich, teils skeptisch –, aber größtenteils indifferent. Was wir daraus lernen können? Nächstes Jahr schicken wir ein Lied zum Song Contest, in dem das Wort fuck vorkommt.

Emin Agalarov - Der First Schwiegersohn ist ein Popstar

Das Wettsingen zwischen Wut und "Euphoria"

In Aserbaidschan ist Emin Agalarov ein Superstar. Sobald das KURIER-Interview vorbei ist, stürzen sich Fotografen auf den 32-jährigen Sänger. Mit seinen unkomplizierten Popsongs konnte er auch schon in Russland und Großbritannien reüssieren – und will jetzt in ganz Europa durchstarten.

Dabei hätte er das eigentlich gar nicht nötig. Agalarov ist der Sohn des Milliardärs Aras Agalarov, der mit Projektentwicklung in Russland reich wurde, und mit einer Tochter des aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev verheiratet.

Beim Song Contest trat er als Gastgeber der russischen Delegation und Pausen-Act beim Finale in Erscheinung. Ein Auftritt, von dem er sich positive Impulse für seine Karriere erhofft – morgen, Montag, erscheint sein neues Album in mehr als 20 Ländern.

Zwei Fragen an den First Schwiegersohn:

KURIER: Was hat Aserbaidschan vom Song Contest?

Emin Agalarov: Es ist eine perfekte Gelegenheit, unser Land, die Leute, Kultur und Architektur herzuzeigen. Baku ist wirklich eine wunderschöne Stadt, die mit jeder europäischen Stadt mithalten kann. Und das nur zwanzig Jahre nach Ende der Sowjetunion. In ein paar Jahren wird es hier noch viel schöner sein. Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen.

Was halten Sie von der internationalen Kritik an der aserbaidschanischen Regierung?

Kritik ist immer gut. Aber in einem jungen Land, das erst seit zwanzig Jahren unabhängig ist, gibt es natürlich Hindernisse. Wir sind auf dem richtigen Weg zur Demokratie. Von allen Ex-Sowjetrepubliken sind wir in der Hinsicht am weitesten. Man kann alle Leute hier auf der Straße fragen, was sie von ihrem Land halten, und wird sehr positive Antworten erhalten.

INFO: Emin Agalarov spielt im Oktober in Linz ein Konzert.

KURIER.at tickert den Song Contest live.

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