Sofía Vergara machte eine Karriere daraus, eine Version von sich selbst zu spielen. Als Gloria Delgado-Pritchett in „Modern Family“ wurde die Kolumbianerin aus Barranquilla zum weltweiten Superstar, ihr starker südamerikanischer Akzent zu ihrem Markenzeichen. Aber durch die berühmte Sitcom war sie automatisch auf ein bestimmtes Genre festgelegt: Komödie. Auch ihre Filmauftritte waren auf lustige Rollen beschränkt.
Das ändert sich nun mit dem TV-Sechsteiler „Griselda“. Sie spielt darin eine Frau, die sogar den berüchtigten Drogenboss Pablo Escobar zum Zittern brachte. Zusätzlich zu ihrer ersten großen dramatischen Rolle ist Vergara als kolumbianische Drogenbaronin Griselda Blanco auch fast unkenntlich.
KURIER: Sie tragen dunkle Kontaktlinsen, haben eine falsche Nase und jede Menge andere Gesichtsprothesen. Man muss wirklich zweimal hinschauen, bevor man Sie erkennt. Dennoch schrieben einige Medien, dass Sie der echten Person nicht ähnlich schauen, dass Sie immer noch viel zu schön sind. Was halten Sie davon?
Sofía Vergara: Ja, es ist wirklich schwer, mich hässlich zu machen, haha! Der Vorwurf, dass ich ihr nicht ähnlich schaue, hat mich zornig gemacht, denn das stammt von einem Artikel, für den die Zeitung ein Polizeifoto von Griselda Blanco veröffentlicht hat. Spät in ihrem Leben, wo sie total fertig war, 65 Jahre alt und nach 22 Jahren im Gefängnis. Ich spiele sie in der Zeit vorher. Sie war sexy und hatte jede Menge Bewunderer. Und wir wollten auch nicht zu viele Prothesen verwenden, denn dann übernehmen die das Schauspiel. Es war genug, dass ich täglich drei Stunden im Schminksessel saß und dann noch eine weitere am Ende des Drehtages, um all das Gummizeug wieder abzunehmen. Ich habe auch eine völlig andere Körperposition, ich bin immer vorgebeugt. Mein Rücken war kaputt, einmal brauchte ich sogar eine Injektion, um aufstehen zu können. Ich bin über 50, das ist alles nicht mehr so leicht. Aber es war es wert.
Ihr Regisseur hat erzählt, dass Sie sehr viel Wert auf Authentizität legten…
Ja, ich wollte die körperlichen Veränderungen auch nicht übertreiben, wollte nicht aussehen wie eine Person aus „Pirates of the Caribbean“ oder wie eine Hexe.
Sind Sie nicht in Wirklichkeit blond?
Ich bin blond geboren, mit hellgrünen Augen. Aber mein Look hat nie in das Klischee gepasst, das Ausländer von einer Kolumbianerin haben. In Hollywood hat man mich gezwungen, mir die Haare dunkel zu färben, das hat besser zu meinem Akzent gepasst. Hier glaubt ja jeder, dass Südamerikanerinnen alle aussehen wie Salma Hayek.
Kannten Sie die Geschichte von Griselda Blanco?
Ich hatte nicht einmal von ihr gehört, bevor ich das Drehbuch bekam. Und ich bin genau zu dieser Zeit in Kolumbien aufgewachsen! Die Ära, in der das Drogengeschäft so richtig geboomt hat. Jedes Kartell war berühmt. Jeder wusste, was die machten, und dass sie alle von den amerikanischen Behörden gesucht wurden, weil sie Drogen in die USA schmuggelten. Ich fand es sehr interessant, dass es unter ihnen eine einzige Frau gab, die auf diesem Level agierte. Aber weder ich noch meine Familie wussten, wer sie war. Und deshalb war das Projekt für mich dann doppelt wichtig.
Ihr Produzent hat auch die Serie „Narcos“ gemacht.
Ja, deshalb kannte er ihre Geschichte. Griselda Blanco war ein Mitglied des Medellin-Kartells, er hatte nur keinen Platz für sie in „Narcos“. Sie war als Schwarze Witwe bekannt, weil sie angeblich ihren Mann umgebracht hat. Das sind natürlich alles Anekdoten. Erst durch die Recherche fanden wir heraus, was für eine komplexe und fesselnde Person sie war.
Manche Details über ihr Leben klingen ziemlich abenteuerlich und grenzen fast an Märchen, nicht wahr?
Blanco hat Kolumbien verlassen, weil Escobar einen Wahlkampf gestartet hat, um die politische Macht im Land zu übernehmen, und sie wusste, dass es sehr schlecht für sie war, prominent zu sein. Sie ist nach Miami gezogen, um dort unter dem Radar ihr Drogenbusiness aufzubauen. Ich habe mir die Doku „Kokain Cowboys“ angeschaut und mir auch gedacht: Kann das wahr sein? Dann fand ich einen Artikel über sie und war so gefesselt, dass ich jeden Drogenpolizisten, der mir über den Weg lief, nach ihr fragte. Erst danach habe ich kapiert, diese Frau hat existiert, und vieles über sie, ganz gleich wie irre es klingt, entspricht der Wahrheit und ist tatsächlich passiert. Sie wurde ja letztlich gefasst und war 22 Jahre in einem amerikanischen Gefängnis. Als wir anfangs über dieses Projekt sprachen, hat sie noch gelebt. Und deshalb habe ich es hinausgezögert, denn ich wollte sie nicht zu Lebzeiten glorifizieren. Sie ging ja dann frei. Erst als sie 2012 starb, begann ich mich wieder für das Projekt zu engagieren.
Konnten Sie sich bis zu einem gewissen Grad mit Griselda Blanco identifizieren? Konnten Sie einige ihrer Handlungen und Entscheidungen verstehen?
Ich bin Kolumbianerin, ich war eine Single-Mutter, die ihren Sohn allein aufgezogen hat. Ich war Immigrantin, habe sehr jung zu arbeiten begonnen. Musste mich durchschlagen. Das sind alles Gemeinsamkeiten. Ich hatte Glück und musste nie etwas Illegales tun, um zu überleben, aber viele haben diesen Luxus nicht. Mein Bruder war im Drogengeschäft, er wurde in Kolumbien ermordet. Irgendwie habe ich also innerlich gespürt, wie das ist. Ich wusste, was dieses Leben aus jemandem machen kann, wie es Familien zerstört, wie ein Land darunter leidet und die Bevölkerung. Es geht nicht nur um die Kriminellen, die in das Geschäft involviert sind, sondern um alle Menschen, deren Leben im weitesten Sinn davon betroffen ist. Als Schauspielerin musste ich mir nur eine Frage stellen: warum würde eine Mutter so etwas tun? Griselda war kein Mann, der nur Macht und Geld wollte. Sie war eine Mutter. Und sie war smarter als all ihre männlichen Konkurrenten, die nur durch Gewalt und Brutalität an der Macht waren. Sie war hochintelligent und wusste, wie sie sie manipulieren konnte. Aber am Ende war sie genau so brutal wie die Männer. Sie hat all die Werte verraten, die sie zu Beginn hatte.
Ihren Akzent haben Sie nie abgelegt. Hat das Ihre Karrieremöglichkeiten eingeschränkt?
Eine Amerikanerin aus dem Mittelwesten wird man mir wohl nicht abnehmen. Und besonders, was dramatische Rollen betrifft, ist es schwierig. Deshalb war ich ja auch so froh, als ich die Geschichte Griseldas hörte. Ich wusste, dass ich diese Figur verstehe, dass ich sie gut spielen kann. Ich bin 51, ich habe viel gelebt und erlebt. Ich weiß, dass die Welt grausam sein kann, dass Menschen grausam sein können, und dass sich jeder Mensch jederzeit von einem Extrem ins andere verwandeln kann, auch wenn wir das alle von uns selbst nicht glauben wollen. In Griseldas Fall hätte sie all ihre Talente für Gutes verwenden können. Sie hätte Präsidentin von Kolumbien werden können. Wir können nicht wählen, womit wir geboren werden, aber wir können wählen, was wir daraus machen.
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