Im Showgeschäft darf man nicht alles glauben, das wusste man schon bevor der Sänger von “I Believe I Can Fly” nicht weggeflogen, sondern ganz, ganz tief abgestürzt ist. Aber Pink glaubt man: Man glaubt ihr in jeder Bewegung – beim Schulterwackeln und beim Am-Seil-Herumhängen, beim Military-Mantel-Schwingen und beim 50er-Jahre-Tanz -, dass sie Spaß hat. Und das ist überaus ansteckend.
Die Sängerin, in Echt heißt sie Alecia Moore, bietet auf der aktuellen Tour eine Mischung aus Akrobatik (siehe oben, der Kronleuchtertanz) und Gute-Laune-Choreografien, die noch dazu mit Herz und Hirn ausformuliert sind: Das Bühnenspiel erinnert in den besten Momenten an die magischen Großaufgebote der alten Hollywoodfilme, in denen auf wundersame Weise die Tänzer von Szene zu Szene, von Requisit zu Requisit weitergereicht wurden.
Auch auf der Showbühne im Happelstadion schnurrt Derartiges ab, und zwar so gut, dass man in Versuchung gerät, daraus etwas für das Leben zu lernen: Wo Pink ihre Hand hinstreckt, wird sie genommen; wo sie hinfällt, wird sie aufgefangen, und heilsamer kann man sich die Existenz nach Büroschluss eigentlich nicht vorstellen.
Was auch dazugehört: Pink wechselt oft ihr Outfit, und im Gegensatz zur Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen ist der glitzernde Hosenanzug hier nur ein Blickfang von vielen. Sie hat später eine weiße Latzhose an und kurze Zeit nur einen Akrobatik-Body am Akrobatinnen-Body.
Rund um das Tanzen und um das Umziehen herum singt Pink Hits wie “Just Like a Pill”, “Who Knew” oder “What About Us” aus voller Röhre, der Schlagzeuger trägt eine überdimensionale Alfred-Biolek-Brille, und der Gitarrist heißt Spanky und hat eine Frisur wie Robert Plant (ja, der von Led Zeppelin), seit der Countrymusik macht.
Die Bühne hat herzförmige Großbildschirme an ihren Seiten, der Sound im Stadion ist, wie der Sound im Stadion halt meistens so ist. Dazu gibt es Feuerwerk und Laserlicht und Confetti und lustige Zwischenfilmchen u.a. über einen brutalen Vergnügungspark (hoffentlich hat sich der nahe Prater nicht angesprochen gefühlt!) und viele Hits.
Das hat man im Einzelnen schon alles gesehen, aber Pink schafft dennoch Einzigartiges, nicht nur, wenn sie an Seilen über das Publikum zischt: Sie macht noch einmal spürbar, was der Pop einst konnte, bevor er vom Hip-Hop und, in den Lederhosen gegenüber aufgeschlossenen Ländern, dem Schlager entmachtet wurde. Man staunt, dass es sie noch gibt, die große, einschließende, zugleich aber nicht Niveaulimbo spielende Unterhaltung für Jedermann bzw. eigentlich Jederfrau: Im Publikum herrschte eine Frauenquote, bei der Männerrechtler schwere Träume bekommen.
Natürlich gibt es auch Irrtümer. Etwa die schwülstige “Karneval von Venedig trifft Fifty Shades”-Posse, die ausgerechnet zum schönen “Learn to Love Again” gezeigt wird. Beim Anblick von Fuchs- und Fetischmasken und dem rundherum aufgetanzten Verführungsspiel hofft man darauf, dass man nicht nur wieder zu lieben, sondern hoffentlich auch noch etwas über die künftige Vermeidung von üblem Kulturkitsch lernt.
Aber das macht nichts. Denn insgesamt sieht diese Popshow die Perfektion schon ganz aus der Nähe. Und Pink sammelt einen Sympathiepunkt nach dem anderen: “Trinkt ihr genug Wasser?”, fragt sie, “ach, ich bin so eine Mutter, ich werde euch alle bemuttern!”
Da braucht es keine nachträglichen Videobotschaften an die Randgruppen: Hier wird inkludiert, aufgenommen, pädagogisch wertvoll bestärkt - und unterhalten. Und zwar so, dass es ins Formatradio passt und damit zu möglichst vielen Menschen. Das Schöne ist: In all diesen Menschen richtet sich diese Musik nicht an das Gemeinsame, Gleichmacherische, sondern an die Seiten, mit denen sich die Vielen ganz alleine wähnen. Und ja, auch das war eine der großen Stärken des Pop.
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