Konkret heißt das: Alle Protagonisten wie auch der Chor sind hinter einer riesigen Leinwand positioniert, hinter der sie singen und spielen. Drei Live-Kameras verfolgen die Künstler dabei. Es gibt frontale Bilder, horizontale, verfremdete, Motive aus der Vogelperspektive sowie unendlich viele Close-ups. Dazu kommt vorbereitetes Filmmaterial, das teils mit den Live-Szenen überschnitten wird. Außerdem gibt es zahlreiche Verfremdungen.
Was also sieht man? Etwa den gewohnt guten Arnold Schoenberg Chor, der auch als eine Art Zombie-Armee gefilmt wird. Eine Wolfsschlucht, in der Max und Kaspar die treffsicheren, aber tödlichen Freikugeln gießen. Nach vollbrachter Tat werden Katastrophenbilder von Überflutungen und Waldbränden eingeblendet. Dazu gibt es ein mehrsprachiges Stimmengewirr; die Sprechtexte (Übertitel!) gestaltet jeder Mitwirkende in seiner Muttersprache. Damit umschifft Marton das holprige Originallibretto. Ein Wunder aber, dass Marton wenigstens die Arien nicht antastet.
Dafür umso mehr den Inhalt. Im Zentrum steht hier Agathe. Doch suggerieren die Filme, dass sich die gesamte Handlung nur in Agathes Kopf abspielt. So wird die Figur des Ännchen zu Agathes Alter Ego; auf die Rolle des bösen Samiel wurde verzichtet. Dieser kommt nur als stimmverzerrter Avatar vor; man meint in den kurzen Sätzen Agathe zu hören. Diese wiederum geht nach Kaspars Tod (warum auch immer) in Wien spazieren. Das – vorproduzierte – Material zeigt etwa die Karlsplatzpassage, die Badener Bahn oder einen Würstelstand. Dann hat der Spuk ein Ende.
Kompliment an die Sängerinnen und Sänger. Allen voran an Jacquelyn Wagner, die ihre Agathe nicht nur großartig singt, sondern auch famos spielt. Sofia Fomina ist ein braves Ännchen, Tuomas Katajala hat den passenden Tenor für den Max, Alex Esposito ist ein tadelloser Kaspar. Guido Jentjens, Levente Páll, Viktor Rud und besonders Dean Murphy ergänzen gut.
Schade nur, dass Dirigent Patrick Lange am Pult der Wiener Symphoniker keine in sich stringente Lesart findet. Manches ist unendlich zerdehnt, anderes peitscht Lange durch. Aber das passt sogar zur Optik.
Peter Jarolin
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