"Traviata" an der Staatsoper: Auch Emojis müssen manchmal weinen
Pandemie hin, Pandemie her – fast schon im Wochentakt liefert die Wiener Staatsoper unter der Direktion von Bogdan Roščić großes und zeitgemäßes Musiktheater ab. Nur zwei Wochen nach der Premiere von Georges Bizets „Carmen“ in der Inszenierung von Calixto Bieito ist nun auch Giuseppe Verdis „La Traviata“ in neuem Look am Haus am Ring zu erleben. Besser: Wird zu erleben sein. Denn die Premiere der gemeinsam mit Paris konzipierten Neuproduktion musste Corona-bedingt via (kostenlosem) Streaming und ORF III ohne Publikum über die Bühne gehen; einige wenige Medienvertreter waren zugelassen.
Eines aber lässt sich nach diesem Probegalopp im fast leeren Haus sagen: Regisseur Simon Stone ist das Kunststück gelungen, die Handlung rund um die unglückliche Kurtisane Violetta Valéry perfekt ins Heute zu transportieren. Bei Stone ist Violetta ein It-Girl, eine Influencerin mit eigener Parfümlinie, die all ihre Aktivitäten, all ihre Partys und Eskapaden in den sozialen Medien kommuniziert. Und so tauchen im Laufe der Zeit viele Emojis, Herzen, Tränen und Selfies auf. Twitter und Instagram sind omnipräsent. Egal, ob es ums Leben, Sterben, stark überzogene Konten oder auch reißerische Schlagzeilen geht – die Grenzen zwischen dem schönen Schein und dem letztlich tragischen Sein verschwimmen in virtuoser Manier.
Gewaltige Bilder
Wie das geht? Bob Cousins hat dafür einen Kubus auf die sich permanent in Bewegung befindliche Drehbühne gestellt, der auf zwei Außenseiten riesige Leinwände hat und sich im Rückbereich für die intimen Szenen zu einem weißen Spielraum öffnet. Alice Babidge hat dazu die passenden, oft grell-glitzernden Kostüme entworfen; die Videos von Zakk Hein sowie das Licht von James Famcombe dominieren die Szenerie. Im Spielraum selbst setzt Stone auf Symbolik. Eine Champagnerglaspyramide bei Floras Party, eine Statue der Jeanne d'Arc auf dem Pariser Place des Pyramides als Zeichen von Violettas Kampf gegen einen Tumor, eine Luxuskarosse für den It-Girl-Promifaktor, ein alter Traktor als Zeichen des Landlebens, aber auch Mülltonnen und eine Dönerbude gibt es zu sehen. Violettas Tod wird zuletzt ganz ohne Brimborium in gleißendes Licht getaucht. Vielleicht eine Himmelfahrt?
Egal, das ist in sich stimmig. Nur gelegentlich erschlagen die Bilder auf den Leinwänden die realen Personen. Auf die Staatsoper kommt aber im Repertoire eine echte Herausforderung zu, müssen doch bei wechselnden Besetzung alle Filme mit den jeweils aktuellen Protagonisten neu gedreht werden. Und ohne Proben geht in dieser tollen Adaption wohl wenig.
Sehr viel aber ging (und geht) bei den Premierensängern. So ist die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende – nach etwas nervösem Beginn – eine ideale Violetta. Sie hat die Höhen, die Dramatik, aber auch schon die Tiefe, die man für diese Rolle braucht. Allein ihr „Addio del passato“ ist herzzerreißend; darstellerisch ist Pretty Yende ohnehin eine Wucht. Juan Diego Flórez wiederum singt den Alfredo wunderschön, ganz auf Linie, sehr lyrisch und mit allen erforderlichen Spitzentönen. Einfach nur Weltklasse!
Gewaltiges Ensemble
Neben diesen beiden so exzellenten Stimmen besteht auch Igor Golovatenko mit seinem mächtigen, dabei stets kultivierten Bariton als Giorgio Germont mühelos. Die kleineren Partien sind mit Margaret Plummer (Flora), Donna Ellen (Annina), Robert Bartneck (Gaston), Attila Mokus (Douphol), Erik Van Heyningen (Obigny) und Ilja Kazakov (Grenvil) sehr gut bis tadellos besetzt. Auch der Chor des Hauses (Einstudierung: Martin Schebesta) hat einen großen Anteil am Erfolg.
Bleibt noch Hausdebütant Giacomo Sagripanti am Pult des an sich sehr animierten Orchesters, der seine Aufgabe jedoch zu ehrfürchtig angeht. Bei Sagripanti fehlen viele gestalterische Elemente, denn er lässt die Damen und Herren im Graben einfach spielen. Da klingen etliche Stellen sehr zurückgenommen, dann folgen wieder eher unmotivierte Ausbrüche – eine einheitliche Linie ist bei diesem unter dem Strich nur soliden Dirigat nicht herauszuhören. Doch wie sagt ein Sprichwort so schön: Was nicht ist, kann ja noch werden.
Dann hoffentlich vor Live-Publikum, denn den Beifall vor den Bildschirmen kann man ja nicht hören. Verdient wäre er mehr als gewesen.
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