So ist das neue Coldplay-Album: Viel Beteuern der Liebe, wenig Dringlichkeit

So ist das neue Coldplay-Album: Viel Beteuern der Liebe, wenig Dringlichkeit
Coldplay veröffentlichen ihr Album „Moon Music“, einen neuen Aufguss von allem, was die Band um Chris Martin bisher gemacht hat.

„Ich versuche nur, auf eine Welt voll Liebe zu vertrauen!“ Das stellt Chris Martin in „Moon Music“ fest, dem ersten Song des gleichnamigen neuen Albums seiner Band Coldplay. Es klingt fast wie eine Entschuldigung. Denn immer wieder wurde der Sänger der britischen Superstarband für seine plakativ zur Schau getragene Haltung kritisiert, Liebe könne alle Probleme der Menschheit lösen, denn die ignoriert die Komplexität von Konflikten wie dem im Nahen Osten.

Die zehn neuen Songs des zehnten Coldplay-Albums machen eifrig mit Martins sturem Beharren auf ausschließlich positiven Botschaften weiter. Das Wort Liebe kommt in fast jedem Song mehrmals vor. Die Texte sind ein einziges Beschwören von Harmonie, der Kraft von Spiritualität, Regenbögen und des menschlichen Potenzials – mit breitgetreten Plattitüden und zu häufigen Formulierungen, die in Kinderbüchern stehen könnten.

Wenn all das mit melancholischen Klängen zusammenfällt, was es auf „Moon Music“ häufig tut, klingt es, als wolle sich Martin selbst einreden, dass am Ende alles gut wird.

Pathos

Besonders kitschig wirkt das bei „Alien Hits/Alien Radio“, einem Song, dessen Titel auf dem Album von einem Regenbogensymbol ersetzt wird. Sphärische Keyboardklänge und Streicher, die zunehmend bombastisch werden, bestimmen den ersten Part. Im zweiten wird der monumentale Track ruhiger, basiert plötzlich auf zarten Gitarren. Noch später rezitiert die amerikanische Schriftstellerin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung Maya Angelou ihr Regenbogen-Gedicht über Ambient-Sounds. Es klingt, als würden Coldplay Pink Floyd nachahmen und deren subversive Untertöne mit Pathos ersetzen.

Viele andere Songs von „Moon Music“ sind ähnlich unzusammenhängend aufgebaut. „Aeterna“, das sich an Clubmusik orientiert, endet mit einem Chor, der an traditionelle afrikanische Musik erinnert. „Jupiter“ startet mit einer munteren Akustikgitarre, geht in Keyboard-Bombast über und fällt in sich zusammen, bevor schwebende Sounds auftauchen, die zu „Good Feelings“ überleiten. Aber der Song klingt dann nach 80er-Jahre-Disco. Eines der Stücke auf dem Album, das noch am besten als Song funktioniert, ist das vorab veröffentlichte und auch bei den vier Wien-Konzerten im August vorgestellte „Feels Like I’m Falling In Love“. Aber auch das ist nur der seichte Disco-Pop, auf den sich Coldplay in den jüngeren Karriere-Jahren verlegt haben.

Schluss machen

Wie das lebhafte, von Afro-Beats und Rap-Beiträgen von Little Simz und Burna Boy getragene „We Pray“ machen all diese Songs sehnsüchtig nach der Dinglichkeit im Ausdruck, die frühere, mehr dem Rock zugeneigte Coldplay-Songs wie „Yellow“, „The Scientist“ oder „Fix You“ spielerisch in den Äther zauberten.

Ist es also gut, dass Martin in einem Interview mit Apple-Music dem Moderator Zane Lowe versprochen hat, dass er nach dem zwölften Coldplay-Album Schluss macht, dass es nach „Moon Music“ also nur mehr zwei weitere geben wird?

Nicht unbedingt. Denn abgesehen davon, dass das Album „Moon Music“ ein chaotisches Hin und Her zwischen allem ist, was Coldplay schon einmal gemacht haben, ist es mit all der Erfahrung der derzeit erfolgreichsten Band der Welt von der Ausführung her perfekt produziert und gespielt. Die Melodien, die Martin, Gitarrist Johnny Buckland, Bassist Guy Berryman und Drummer Will Champion damit liefern, sind zwar simpel, aber hymnisch. Sie werden genau dort funktionieren, wo sie hingehören: In ein Stadion voll mit Menschen, die sie gemeinsam singen wollen. Leute, die für zwei Stunden dem Alltag entfliehen und die jüngsten Schreckensbilder aus der Ukraine, dem Nahen Osten oder von den Verwüstungen der Naturkatastrophen vor der Haustüre vergessen wollen.

„Früher ging es bei den Shows um uns“, hat Chris Martin im Apple-Music-Interview gesagt. „Heute aber gehen wir auf die Bühne, um ein Zusammenkommen zu ermöglichen.“

Und so ein Zusammenkommen macht – wie im August 240.000 Wiener – glücklich. Erst durch das gemeinsame Singen der Coldplay-Songs und durch die Show, die gezielt so gestaltet ist, dass ein Gemeinschaftsgefühl entstehen kann, kann Martin seine simplen, vielleicht naiven Botschaften von Liebe und Harmonie zum Leben erwecken und spürbar machen.

Alleine im Wohnzimmer genossen ist „Moon Music“ aber nur ein netter Soundtrack zum Staubsaugen oder Küche putzen.

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