"Smoke Sauna Sisterhood": Die Traumata herausschwitzen
Die Sauna ist „ein besonderer Ort für Frauen. Dein Körper und deine Seele sind dort nackt und entblößt“.
Eine Gruppe von Frauen sitzt in der Sauna. Stundenlang, in einer Saunahütte am Land in Estland. Man schwitzt, redet, kühlt sich draußen ab, geht wieder hinein, macht den nächsten Saunagang, entspannt sich, redet. Tabus gibt es nicht bei dieser „Smoke Sauna Sisterhood“ (ab 12. Jänner im Kino).
Die Tradition des Zusammenkommens und Sich-Öffnen in einer Rauchsauna ist tief verwurzelt in der estnischen Gesellschaft. Die Sauna hat eine viel tiefere Bedeutung, als nur der Gesundheit zuträglich zu sein: In der Rauchsauna gebaren Frauen in früheren Zeiten ihre Kinder, Tote wurden dort gewaschen, verdrängte Dinge beim Namen genannt.
Die estnische Regisseurin Anna Hints stammt aus der Region Voroomaa und Setomaa im Südosten Estlands und ist mit dieser Tradition, die zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe zählt, aufgewachsen. Die Kindheitserinnerungen an die Saunagänge blieben ihr nachhaltig in Erinnerung. Mit elf Jahren, so erzählt sie, war sie zum ersten Mal mit ihrer Großmutter in einer Rauchsauna. Kurz davor war der Großvater gestorben.
Anna Hints (41) gewann bei den Europäischen Filmpreisen.
Nackte Seele
„In der Sauna ließ Großmutter ihren Gefühlen freien Lauf und sprach darüber, wie er sie betrogen hatte. Wie sehr er sie damit verletzt hatte. Alles, was jahrelang ganz tief in ihrem Inneren geschlummert und sie gequält hatte, musste raus. Danach machte sie ihren Frieden mit Großvater und beerdigte ihn am nächsten Tag.“
In der Rauchsauna herrsche eine ganz spezielle Atmosphäre. „Sie ist ein besonderer Ort für Frauen. Dein Körper und deine Seele sind dort nackt und entblößt. Meine Großmutter sagte immer: Wenn wir Traumata in uns tragen, dann sind diese wie Eis, wie gefrorenes Wasser in uns drinnen. Dort herrscht manchmal Dunkelheit wie im tiefsten, finstersten Winter. Aber wir sollten uns immer bewusst sein, dass Eis die Eigenschaft hat, wieder aufzutauen und zu fließen. Wir brauchen dafür nur Wärme und Sicherheit. Das ist für mich die Macht der Rauchsauna: ein sicherer Platz, wo wir zusammenkommen, auch Negatives teilen und uns gegenseitig Mut zusprechen. Unsere Traumata herausschwitzen. Das brauchen wir, das braucht unsere Gesellschaft.“
„Smoke Sauna Sisterhood“ ist so offen und ungewöhnlich, dass der Film seit einem Jahr einen Preis nach dem anderen bei Festivals abräumt. Hints, die sieben Jahre lang daran arbeitete, ist vom Erfolg selbst überrascht: „Ich habe hundert Prozent meiner Energie und meines Herzens in den Film gesteckt, was die Leute wohl auch spüren. Aber es ist verblüffend zu sehen, wie eine lokale estnische Tradition wie die Rauchsauna so viele Menschen auch in anderen Kulturkreisen ansprechen kann. Für mich belegen die Reaktionen der Menschen diese große Sehnsucht nach einem geschützten Raum. In der Rauchsauna legst du ja auch die Hülle deiner Seele ab.“
Die Dreharbeiten gestalteten sich schwierig. „Es war eine große Herausforderung, in einem so engen, dunklen Raum wie der Saunahütte zu filmen. Die Temperatur lag bei 80 bis 90 Grad und jeder Saunagang dauert so um die vier Stunden. Das war für den Kameramann alleine schon eine riesige körperliche Herausforderung.“
Frei von der Leber weg
Drehbuch gab es keines. Dass die Frauen spontan und frei von der Leber weg sprachen, war Hints wichtig: „Es gab von meiner Seite keine Vorgaben. Wenn sie gute Geschichten erzählten, okay. Wenn nicht, musste ich auf den nächsten Saunagang warten. In vier Stunden ist ja genug Zeit. Da kommt zuerst der körperliche und dann der seelische Schmutz heraus.“
Ist die Rauchsauna ein typisch weibliches Ritual? - „Nein, aber die Geschlechter sind in der Sauna traditionell getrennt. Als der Film in Estland rauskam, sprachen mich viele Männer an und wollten, dass ich auch mit ihnen einen Film in der Sauna mache, einen ‚Smoke Sauna Brotherhood‘. Aber das mache ich nicht, denn bei Männern ist es so: Sie reden in der Sauna nur über Bullshit. Sie sind nicht so offen und ehrlich wie die Frauen und inszenieren sich noch, wenn sie ganz bloß sind. Für mich bedeutet Stärke aber, auch seine verletzliche Seite zu zeigen. Einzugestehen, dass nicht alles gut ist.“
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