Um Gottes willen, nein. Thomas Gottschalk ist für mich ein ganz anderer Typus als meine Hauptfigur. Gottschalk ist jemand, der sich beklagt, dass er jetzt mehr nachdenken und anders ticken muss als früher. Meine Figur denkt eigentlich zu viel nach. Heinz Hellmich ist ein Mann, der versucht, kein alter weißer Mann zu sein, sondern modern und progressiv. Dabei tritt er in viele Fettnäpfchen, und das ist ja auch das Witzige. Wir tanzen alle auf einem rutschigen Parkett; das ist eine tolle Ausgangsposition für eine Komödie.
Es werden auch viele Klischees von „woken“ Menschen bedient. Ein junger Mann, der sich bei seinem Anstellungsgespräch Homeoffice und Life Balance wünscht, wirkt wie eine Lachnummer.
Für mich ist dieser Typ keine Lachnummer. Letztlich sagt er, er hätte gerne mehr Zeit für seine Frau und sein Kind und wünscht keine Arbeitsanrufe am Wochenende oder nach 18.00. Im Grunde genommen hat er vollkommen recht. Und Heinz Hellmich ist die Figur, die den Film hindurch zeigt, warum dieser Mann recht hat. Schon fünf Minuten später ärgert sich seine Tochter darüber, dass er zu Hause schon wieder am Handy hängt. Auch wenn man über diesen Mann schmunzeln muss oder meint, er sei zu klischeehaft, zeigt er eine absolute Wahrheit über uns alle auf: Das Problem mit der ständigen Erreichbarkeit.
Sie widmen Ihren Film Ihrem Vater (der kürzlich verstorbene Regisseur Michael Verhoeven, Anm.). Durch Friedrich von Thun ist auch ein 82-jähriger Mann am Familientisch vertreten. Lassen Sie auch innerfamiliäre Auseinandersetzungen einfließen, die Sie selbst mit Ihrer Elterngeneration geführt haben?
Durchaus. Natürlich stammte mein Vater aus einer anderen Generation, die sich manchmal schwer damit getan hat, dass manche Begriffe nicht mehr benutzt werden sollen. Manchmal haben wir uns darüber unterhalten. Er war ein sehr neugieriger Mensch, der Veränderungen auch mitgegangen ist. Aber er hat nicht jede Übertreibung mitgemacht. Er konnte sich darüber amüsieren, wenn man beispielsweise Vietnamesisch kochen als kulturelle Aneignung bezeichnet hat. Darüber hätte er sich kaputtgelacht oder aufgeregt. Manchmal sind Übertreibungen kontraproduktiv, weil es sich gegen Offenheit und kulturellen Austausch stellt. Wir führten darüber viele Diskussionen, aber weil mein Vater ein sehr junges Herz hatte, hatten wir oft sehr ähnliche Ansichten. Mein Sohn ist 14, also auch wieder eine ganz andere Generation. Er und seine Freunde gendern nicht, pflegen aber was etwa Diversity-Themen angehen, einen völlig selbstverständlichen Umgang. Sie fragen einander nicht: "Woher kommst du wirklich?“ Ältere Menschen würden so eine Frage stellen, weil sie an Migrationsgeschichten interessiert sind. Es geht einfach um Sensibilität und Timing, mit der man so eine Frage stellt. Ich plädiere dafür, die Menschen als das zu sehen, was sie sind: Sitzt das Herz am richtigen Fleck? Oder habe ich es mit einem knallharten, unsensiblen Rassisten zu tun? Ich glaube, zu oft werden Menschen, die gutmeinend sind, in diese Schublade geworfen. Man könnte ein bisschen mehr Verständnis und Humor walten lassen. Es kommt ja auch immer darauf an, wie man jemanden ausbessert und wie man mit jemanden ins Gespräch kommt.
Würden Sie sich selbst als „woke“ bezeichnen?
Natürlich bezeichne ich mich als „woke“, wenn es bedeutet, dass man in vielen Belangen sensibler ist als noch vor zehn Jahren; dass man ein anderes Bewusstsein für Minderheiten und Diskriminierungen hat und ganz selbstverständlich in einer bunteren Gesellschaft lebt. Und dass man nicht stur immer das Gleiche machen möchte wie zum Beispiel ein Thomas Gottschalk. Aber wenn „woke“ bedeutet, unerbittlich jeden Fehler zu ahnden, den Mitmenschen auf dem Sprachparcours begehen oder andere ständig in Schubladen einzuteilen – dann möchte ich nicht „woke“ sein.
Der „Sprachpolizei“ wird der berühmte Satz „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ entgegengehalten.
Es kommt darauf an, was man wohl noch sagen darf. Wenn man verletzende Begriffe benutzt, hat die Sprachpolizei recht. Wenn aber die Sprachpolizei verlangt, dass man auf der Uni gendert, weil man sonst eine schlechtere Note bekommt, hat die Sprachpolizei nicht recht. Die Sprachpolizei darf halt nicht die iranische Sittenpolizei werden. Wenn man mit Humor und mit Verständnis agiert, darf man auch korrigieren und auf etwas hinweisen – weil sich die Zeiten zum Glück auch ändern.
In „Alter weißer Mann“ geht es auch um den Zwang zur Selbstoptimierung, verkörpert durch Elyas M’Barek. Warum gerade er?
Elyas M’Barek steht für mich für einen Typen, der alles perfekt machen will, der sich optimiert, der sich selbst als Projekt begreift, sich perfekt ernährt, perfekt ausdrückt – und am Ende den totalen Zusammenbruch erlebt. Elyas hat eine große Selbstironie, steht aber auch für einen modernen digitalen Menschen. Er kann sehr gut mit den sozialen Medien umgehen und hat über drei Millionen Follower. Er kann an einem Tag, an dem ich noch nicht einmal weiß, wie mein Handy funktioniert, schon drei Storys auf Instagram posten. Verglichen mit ihm fühle ich mich wie ein mittelalterlicher Opa. Deswegen fand ich es lustig, ihn in diesen digitalen Wahnsinn zu treiben.
Welches Publikum hatten Sie speziell im Auge?
Ich glaube, alle Leute, die sich für die Gesellschaft interessieren und Humor haben, auch über sich selbst, sind in dem Film sehr gut aufgehoben. Der Film ist für die breite Mitte – hoffe ich zumindest. Schauen wir mal.
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