Sigur Rós: Glück im Zeitraffer

Sigur Rós: Glück im Zeitraffer
Die grandiose wie bezaubernde isländische Band gastierte am Dienstagabend in der restlos ausverkauften Arena zu Wien. Ein Abend voller Glückseligkeit.

Die Zeit steht still - oder vergeht wie in Zeitlupe. Die bezaubernd schönen Melodien schweben durch die angenehme Spätsommerluft, künstlich erzeugte Nebelschwaden lösen sich auf und der Blutdruck war selten so niedrig. Schließt man die Augen, kommen einem Polarlichter, endlose Weiten, mächtige Eisberge und Wale in den Sinn. Willkommen bei einem Sigur Rós-Konzert. Ein Erlebnis, das sich gestern Abend in der Arena zu Wien Tausende nicht entgehen ließen. Und sie wurden – das mal vorweggenommen – nicht enttäuscht.

Die Isländer rund um Mastermind Jón Þór Birgisson alias Jonsi eröffnen den Abend mit "Í Gær", einem Song aus ihrem Konzeptalbum "Hvarf/Heim". Er beginnt mit einer Kindermelodie, einem lieblichen, unschuldigen Glockenspiel. Man fühlt sich in Sicherheit. Es ist aber nur die oft zitierte Ruhe vor dem Sturm. Unter Einzug von Trockeneis-Nebelschwaden sägt Jonsi – wie gewohnt – mit dem Geigenbogen über die Saiten seiner E-Gitarre. Die daraus entstehenden Töne jagt er durch ein Effekt-Gerät. Das macht er immer und immer wieder - so lange, bis eine mächtige Klang-Wolke über den Köpfen den Besucher hängt. Es folgen "Ny Batteri", ein Stück aus dem Jahr 1999, "Untitled #1" -  auch als "Vaka" bekannt -, oder Klassiker wie "Svefn-g-englar". Allesamt zerdehnte Stücke, mit denen Sigur Rós seit Jahren vom Polarkreis aus viel Harmonie und Gefühl in die Welt tragen. Live wird das Quartett von fünf oder sechs Gastmusikern unterstützt: Trompeten werden geblasen, Violinen gestrichen und Chöre angestimmt.

Stop and go

Geprägt wird die Musik von Sigur Rós vor allem von Jonsi, dessen gespenstische Elfen-Stimme gerne mit einem waidwunden Walgesang verglichen wird. Er singt wahlweise auf Englisch, Isländisch oder Vonländisch. Letztere ist eine Kunstsprache, die die Fantasie anregt. Soll heißen: Manche hören in einer Textpassage ein "I Love you", andere ein "I leave you".

Die Musik von Sigur Rós überzeugt seit 1994 mit einer enormen Bandbreite. Da gibt es Momente voller Noise-Gitarren, wie sie Mogwai gerne spielen. Eingängige Momente vermischen sich mit einer brachialen Stop-and-go-Dynamik. Es gibt Momente der inneren Einkehr, wie sie Gläubige zu erzählen wissen. Oder Momente voller Trauer und Schmerz. Live setzt man diese Gefühlswelten mit Visuals um. Sonnenaufgänge werden inszeniert und man streift durch Wälder, deren feuchte Böden in der Morgensonne zu dampfen beginnen. Dabei tappen Sigur Rós nie in die Kitsch-Falle. Viel mehr wirkt die Musik angenehm unverkrampft und von zeitloser Schönheit. So auch auf ihrem aktuellen Album "Valtari", was so viel wie Dampfwalze bedeutet. Aus diesem Werk stammt auch "Ekki Múkk", mit dem Sigur Rós den Zugabe-Block eröffneten. Zu einem sanften Meeresrauschen, Möwengekreisch holen die Visuals den Ozean in die Arena und lassen ein Schiff ganz langsam über den Horizont schweben. Mit "Popplagid" wird man dann Richtung Heimat, Schlaf und Traum entlassen. Die Zeit steht irgendwie noch immer still. Aus diesem Gemütszustand würde man am liebsten nie wieder ausbrechen. Der Alltag hat aber etwas dagegen. 

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