Seidl sorgte für ersten Aufreger am Lido

Seidl sorgte für ersten Aufreger am Lido
Der Wettbewerbs­beitrag "Paradies: Glaube" von Ulrich Seidl sorgte für Lacher, Zwischenapplaus und einen Aufreger.

Ulrich Seidl hat es wieder geschafft. Sein hervorragender österreichischer Wettbewerbsbeitrag "Paradies: Glaube" sorgte für den ersten Aufreger des Filmfestivals in Venedig. "Sex mit Kruzifix", titelte La Repubblica gekünstelt reißerisch: ",Paradies: Glaube" verursacht Skandal." Allerdings lobten die italienischen Medien auch die "intelligente Ironie" von Seidls Film.

Anstoß für die Brüskierung war eine Szene, in der Maria Hofstätter als fanatische Katholikin das Kruzifix mit ins Bett nimmt und unter der Decke sexuelle Handlungen andeutet.

"Man muss mit allem rechnen", sagte Ulrich Seidl im KURIER-Interview auf die Frage, ob er über die Skandal-Rufe nicht doch etwas überrascht sei: "Ich hab’ nicht gewusst, was passieren wird. Aber dass diese Szene da offensichtlich die anstößigste für manche Menschen ist, damit musste man schon rechnen. Das bricht natürlich ein Tabu."

Gelächter und Zwischenapplaus

Seidl sorgte für ersten Aufreger am Lido

Dabei sorgte der dichte, zweite Teil seiner Paradies-Trilogie bei den Pressevorführungen für Gelächter und Zwischenapplaus: Als die großartige Maria Hofstätter mit ihrer katholischen Gebets-Sturmgruppe Gott schwor, "dass Österreich wieder katholisch wird", brachen die Zuschauer in helles Gelächter aus. Und als der ebenfalls tolle Nabil Saleh, Maria Hofstätters muslimischer, querschnittgelähmter Ehemann, mit dem Stock das Papstbild von der Wand pflückte, wurde gar geklatscht.

"Lachen finde ich gut", sagt Seidl, "weil das Thema schwer ist. Dass man da lachen kann, ist mir sehr sehr recht." Zwar sei die Komik nicht von ihm intendiert gewesen, "aber es liegt auch immer an den Zuschauern. Möglicherweise sieht man etwas, was unangenehm ist, und dann lacht man. Lachen hat etwas Befreiendes."

Tatsächlich erzeugt Seidl mit seinem strengen Kammerstück Beklemmung, wenn er seine religiöse Fanatikerin Anna bei der Selbstgeißelung, auf Knien rutschend und bei missionarischen Rundgängen zeigt. Richtig grausam und ambivalent aber wird es beim ehelichen Zweikampf der katholischen Extremistin mit ihrem muslimischen Ehemann: Eigentlich wollte er eine Privatgeschichte erzählen, meint Seidl, aber dass er dabei auch den Konflikt zwischen der christlichen und der muslimischen Welt zeige, finde er "zeitgemäß und gut".

Selbstzerfleischung

Seidl sorgte für ersten Aufreger am Lido

In karg ausgestatteten, treffsicheren Bildern erzählt Seidl von der Selbstzerfleischung und den wechselseitigen Ritualen der Demütigung zwischen den Eheleuten. Aber auch da schleicht sich immer wieder Komik ins Alltagsgrauen ein: In einen der großartigsten Szenen fährt der Ehemann mit einer wild fauchenden Katze namens Rolli Rollstuhllift oder tobt durchs Haus und fegt die Kreuze vom Einbaukastl. In diesen Augenblicken bricht anarchische Energie aus dem gespannten Korsett der Erzählung.

Insgesamt fühlt sich "Paradies: Glaube" geschlossener und weniger frei an als noch der erste Trilogie-Teil "Paradies: Liebe" über weiblichen Sex-Tourismus in Kenia. "Paradies: Glaube" ist gestraffter, luftdichter. Aber gerade in seinen qualvollen, oft wort­losen Beobachtungen schafft Ulrich Seidl Momente größter Abgründigkeit.

Mehr zum Thema

 

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Kommentar

  • Hintergrund

 

 

Kommentare