Seidl: "Die Kirche hat ihre Autorität verspielt"

Seidl: "Die Kirche hat ihre Autorität verspielt"
Ulrich Seidl, der in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury geehrt wurde, spricht über seine Auszeichnung und seinen Konflikt mit der Kirche.

Fast schon hielt Ulrich Seidl den Silbernen Löwen von Venedig in der Hand – doch dann musste er ihn an den Schauspieler Philip Seymour Hoffman zurückgeben. Der Preis war vertauscht worden und sollte eigentlich durch Hoffman an den abwesenden US-Regisseur Paul Thomas Anderson weitergegeben werden. "Das war eine Konfusion", sagt Ulrich Seidl im KURIER-Interview und lacht: "Im Moment der Aufregung wusste ich selbst nicht mehr, was ich überhaupt für einen Preis bekommen habe."

Wie sich schließlich herausstellte, erhielt der österreichische Regisseur für "Paradies: Glaube", der von dem erbitterten Ehekrieg zwischen einer fanatischen Katholikin und ihrem muslimischen Mann erzählt, den Spezialpreis der Jury.

KURIER: Herr Seidl, Ihr Film war im Vorfeld heftig umstritten. Was bedeutet Ihnen da der Spezialpreis der Jury?
Ulrich Seidl:
Darüber bin ich sehr froh, weil ich weiß, dass der Spezialpreis immer ein besonderes Statement für einen besonderen Film darstellt. Wie ich später erfahren habe, war die Entscheidung auch fast zu hundert Prozent einstimmig – und das ehrt mich sehr.

Ist es Ihnen nicht auch eine gewisse Genugtuung? Immerhin wurden Sie in Italien von ultrakonservativen Katholiken angezeigt ...
Genugtuung würde ich nicht sagen, denn ich war ja nicht beleidigt. Zum einen hat diese Anzeige dem Film PR-mäßig ja vielleicht sogar in der Medienberichterstattung ein bisschen geholfen; zum anderen habe ich bis heute noch keine schriftliche Anzeige bekommen. Also war das vielleicht alles auch nur ein Bluff. Was mir aber an dem Preis gefällt, ist die Tatsache, dass der Film jetzt vielleicht doch nicht nur als Skandalfilm in manchen Gehirnen hängen bleibt, sondern durch den Preis in der Wahrnehmung zurechtgerückt wird.

Man hat Ihnen Blasphemie vorgeworfen, weil in einer Szene unter der Bettdecke eine angedeutete Masturbation mit Kruzifix stattfindet. Wie stehen Sie dazu?
Dem stehe ich gelassen gegenüber, weil ich weiß, dass es sich nicht um Blasphemie handelt. Erstens gibt keine explizite Darstellung; und zweitens, wenn man sich in die Hauptfigur hineinversetzt – und das tue ich – dann ist diese Entwicklung im Sinne dieser Figur richtig und legitim. Es handelt sich ja nicht um die ausgestellte Lächerlichmachung eines religiösen Befindens. Es wäre etwas ganz anderes, wenn ich mich darüber erheben oder etwas karikieren würde. Aber das tue ich nicht.

Kam diese heftige Reaktion seitens der katholischen Kirche für Sie unerwartet?
Natürlich weiß ich, dass diese Szene ein Tabu bricht. Doch sie fällt nicht aus der Handlung heraus, sondern ist eingebunden. Aber wenn Sie mich schon so fragen, dann hätte ich mir eher eine Reaktion vom Vatikan gewünscht ... (lacht) ... und nicht von einer extrem katholischen Organisation, die sich den Abtreibungsparagrafen zum Feind gemacht hat. Ich finde, die Kirche hat so viel in den eigenen Reihen aufzuräumen, dass ich diese Gegnerschaft gerne auf mich nehme.

Glauben Sie, dass in Österreich der Streit weitergeht?
Schwer zu sagen. Hier herrscht die Meinung vor, dass man juristisch mit so einer Anzeige gar nicht durchkommen würde. Grundsätzlich kann man alles diskutieren und auch verschiedener Meinung sein, dazu ist der Film ja da. Aber man muss wissen, wovon man spricht. Ich weiß nicht, ob derjenige, der Anzeige erstattete, den Film überhaupt gesehen hat.

Ihr Film greift ja auch den Konflikt zwischen der christlichen und der muslimischen Welt auf ...
Es handelt sich hier um eine aktuelle Diskussion. Es ist aktuell, dass man, wenn man in der muslimischen Welt religiöse Gefühle verletzt, Morddrohungen bekommt. Und jetzt kommen gewisse christliche Kreise daher und verlangen strengeres Vorgehen, wenn es um die Verletzung von ihren religiösen Gefühlen geht. Aber für mich hat die Kirche ihre Autorität verspielt – vor allem, wenn man weiß, was in den letzten Jahren alles an sexuellem Missbrauch und an Machtmissbrauch passiert ist.

Mit "Paradies: Liebe" waren Sie im Wettbewerb von Cannes, mit "Paradies: Glaube" in Venedig. Stimmt es, dass "Paradies: Hoffnung" für Berlin gebucht ist?
Das ist ein Gerücht. Aber es stimmt, dass es meine Absicht ist. Besser geht`s eigentlich nicht.

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