Schriftstellerin Ilse Aichinger 95-jährig in Wien gestorben
Die Schriftstellerin Ilse Aichinger ist am Freitag wenige Tage nach ihrem Geburtstag am 1.November mit 95 Jahren in Wien gestorben. Das sagte ihre Tochter Mirjam Eich der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Die österreichische Dichterin stammte aus einer jüdischen Familie und überlebte die Nazi-Zeit gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Versteck in ihrer Geburtsstadt Wien. 1948 wurde sie mit dem Roman „Die größere Hoffnung“ schlagartig bekannt. In den 50er Jahren war sie häufig bei Treffen der „Gruppe 47“ zu Gast. Dort lernte sie auch den Schriftsteller Günter Eich kennen, den sie 1953 heiratete und mit dem sie zwei Kinder bekam.
Aus ihrer Feder stammen Erzählungen, Gedichte und Hörspiele sowie Kurzfeuilletons "Unglaubwürdige Reisen" und "Journal des Verschwindens". Der literarische Durchbruch gelang ihr mit "Spiegelgeschichte", ein Text, der das Leben rückwärts von der Bahre bis zur Wiege erzählt, und für den sie 1952 den Preis der "Gruppe 47" erhielt.
Aichinger galt als literarische Einzelgängerin und schuf in geheimnisvoller, verrätselter Sprache Werke von analytischer Schärfe und lyrischer Kraft. Für ihre Gedichte, Erzählungen und Hörspiele wie „Knöpfe“ wurde sie mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Sie wurde unter anderem mit dem Nelly-Sachs-Preis, dem Georg-Trakl-Preis sowie dem Kafka-Preis ausgezeichnet.
Ihre wichtigsten Werke
"Die größere Hoffnung" (Roman) (1948)
"Rede unter dem Galgen" (Erzählungen) (1952)
"Der Gefesselte" (Erzählungen) (1953)
"Auckland" (Hörspiel) (1954)
"Zu keiner Stunde" (Szenen und Dialoge) (1957)
"Eliza Eliza" (Erzählungen) (1965)
"Schlechte Wörter" (Prosa) (1976)
"Verschenkter Rat" (Gedichte) (1978)
"Meine Sprache und ich" (Erzählungen) (1978)
"Kleist, Moos, Fasane" (Prosa) (1987)
"Werke in acht Bänden" (1991)
"Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben" (2001)
"Unglaubwürdige Reisen" (2005)
"Subtexte" (2006)
"Es muss gar nichts bleiben" (Interviews) (2011)
Im folgenden Zitate der am Freitag 95-jährig in Wien verstorbenen Schriftstellerin Ilse Aichinger:
"Sprache und Engagement stellen sich mir nicht als Gegensatz dar." (Interview mit Heinz F. Schafroth, 1972)
"Für mich wird der Umgang mit der normalen Sprache immer schwieriger. Sie kommt mir so leer vor, wie leere Patronenhülsen..." (Interview mit Christoph Janacs, 1982)
"Unlängst hat mir ein Freund erzählt, 70 Prozent aller Autoren auf der Welt sind Alkoholiker. Es wundert mich nicht. Es ist ein harter Job. Unter Schriftstellern ist die Suizidhäufigkeit angeblich am größten. An nächster Stelle kommen die Metzger." (Interview mit Michael Cerha, "Der Standard", 1990)
"Schreiben hat mir ermöglicht, auf der Welt zu bleiben. Ich glaube, dass ich es nötig gehabt habe, sonst hätte ich es nicht getan. Im Roman 'Die größere Hoffnung' zum Beispiel dachte ich zuerst, ich schreib einen Bericht, damit man weiß, was geschehen ist. Das war's nicht. Es war notwendig, für mich jedenfalls." (Gespräch mit Brita Steinwendtner, 1993)
"Ich wollte nie Schriftstellerin werden. Ich wollte Ärztin werden, das ist gescheitert an meiner Ungeschicklichkeit." (Interview mir Iris Radisch, "Die Zeit", 1996)
"Ich halte meine Existenz für völlig unnötig. Egal, wie sie verlaufen ist, egal, was ich an Gutem und Schlechtem erlebt habe - ich habe es schon als Kind als eine absurde Zumutung empfunden, dass man plötzlich vorhanden ist. Da müsste man zumindest gefragt werden, ob man nicht einfach wegbleiben will. Dann wäre ich weggeblieben." (Interview mit Julia Kospach, "profil", 2003)
"Gute Literatur ist mit dem Tod identisch." (Interview mit Julia Kospach, "profil", 2003)
"Das Sterben war früher auch nicht besser, die Auffassung vom Sterben war anders. Es war kein Misserfolg. Es war eine Art Heimkehr." (Interview mit Julia Kospach, "profil", 2003)
"Verschwinden, das klingt so diffus. Man sagt ja auch in Wien immer so zärtlich "Verschwind!" Ich möchte weg sein, eigentlich nie dagewesen sein." (Interview mit Birgit Lehner, APA, 2008)
Kommentare