Schorsch Kamerun: Für immer Punk
Ausbrechen, aufbegehren – gegen die Eltern, die Lehrer und das ganze System: Anarchie! Schorsch Kamerun (52), Regisseur, Zweifler, Aktivist und Sänger der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen legte seinen ersten Roman vor. In "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens" geht es um das juvenile Bedürfnis, Widerstand zu leisten. Aber es geht auch um das Erwachsenwerden, das sich im Laufe der Jahre verändern – Wahrnehmungen, Einstellungen und Positionen verschieben sich. Aber einmal Punk, immer Punk.
KURIER: Ihre Geschichte liest sich wie eine Aneinanderreihung autobiografischer Anekdoten. Ist das Buch eine Erzählung Ihres eigenen Lebens?
Schorsch Kamerun: Auf jeden Fall sind es meine Themen, die vorkommen. Zentral geht es um Ängste, Schuldfragen und Verletzungen, die aus Auseinandersetzungen mit autoritären Grenzsetzungen resultieren. Und genauso wie mein Protagonist im Buch bin auch ich auf der ständigen Suche nach ernsten oder auch mal dadaistischen Möglichkeiten, diese Barrieren auszutricksen.
Sprechen Sie mit Ihrem Buch den deutschen Jugendlichen aus der Seele, die in den 1970er-Jahren groß geworden sind?
Ich glaube, dass diese Zeit eine hochgradig widersprüchliche war. Die Bürger der Nachkriegsgeneration versuchten sich in knallbunt-frivolen Partygemetzeln, gleichzeitig übten sie auf sich und ihren Nachwuchs einen rigiden Leistungsdruck aus. Der Ellenbogen im Bierzelt sozusagen. Aber immerhin hatten wir die Möglichkeit, mit einem angriffslustigen Äußeren zu irritieren. Das ist heute kaum mehr möglich. Wirklich verändert haben wir aber auch nur bedingt – zumindest ist diese Welt keineswegs eine "bessere" geworden.
Hat es sich trotzdem gelohnt, dafür zu kämpfen?
Ich glaube, dass es sich auch heute noch lohnt, für seine Ideale einzutreten, und ich finde auch, dass wir zum Beispiel in Hamburg durchaus Erfolge bei einigen Forderungen gefeiert haben – wir sind zum Beispiel an unterschiedlichen stadtplanerischen Vorgängen beteiligt. Eine zweite Elbphilharmonie wird es sicherlich nicht mehr geben.
Sie wollten als Jugendlicher einen Gegenentwurf zu Ihren Eltern leben. Welche Vorbilder und Ziele hatten Sie damals?
Zuallererst pauschal "anders" sein. Das aufgezeigte Modell von Schule, Ausbildung, Arbeit, eigentlich das komplette Daseinsangebot schien uns nur lächerlich. Erst ganz langsam verstanden wir, dass man eigene Strukturen schaffen kann. Schwer zu sagen, wie gut das alles gelungen ist.
Hat für Sie das Wort "Anarchie" noch irgendeine Bedeutung?
Ich mag den Klang immer noch. Bei allem freiwilligen oder erzwungenem "Mitmachen" freue ich mich weiterhin über jeden Moment von Unordnung, Nichtnormiertheit oder gutem Spott außerhalb einer überkontrollierten Welt.
Existiert Punk noch als Lebenseinstellung?
Es kann immer noch eine "punkige" Haltung zu manchen Themen geben. Es macht einfach großen Sinn, bestimmte Vorgaben zu unterlaufen oder mindestes stark zu hinterfragen.
Das Buch erzählt vom Versuch, Punk als Lebenseinstellung durchzuziehen. Warum scheitern die Protagonisten?
Ich finde nicht, dass alle scheitern. Man muss nur verstehen, dass die äußere Form schon längst nicht mehr taugt. Aber auf eine bestimmte Weise war Punk auch ein totgeborenes Kind, eine Erfindung des Managers der Sex Pistols, der ihn mit den Regeln der "Gesellschaft des Spektakels" zusammenbrachte.
Revolution und Widerstand – sind das noch die Werte der linken Bewegung?
Solche Symbole funktionieren nur noch schwer, weil diese Begriffe allesamt zur Werbersprache geworden sind. Stichwort: "Der Mercedes mit dem revolutionären Fahrwerk".
Sie haben mit Rocko Schamoni den Golden Pudel Club gegründet. Kürzlich wurde er angezündet. Warum?
Das Haus hat zwar gebrannt, der Club dagegen ist kaum beschädigt. Wir haben keine Ahnung, wer gezündelt hat, waren aber ernsthaft betroffen. Dennoch wird es auf jeden Fall weitergehen.
Der Club ist ein besonderer Sehnsuchtsort für eine nahezu verschwundene Haltung, welche sich für Gemeinsamkeit und nichtökonomisierten Experimentierglauben ausspricht. So etwas scheint so gut wie ausgestorben zu sein. Es ist der Grund, warum sich so viele Menschen mit dem Pudel solidarisieren.
Gegen was sollte sich die heutige Jugend auflehnen?
Gegen sich. Weil sie Teil des Problems ist mit ihrer- durchaus erzwungenen Geschäftsführung des Selbst.
Deutschland schämte sich lange Zeit für sich selbst. Damit war 2006 Schluss – nach der WM im eigenen Land. Die Medien schrieben: "Man darf wieder Flagge zeigen". Wie haben Sie diese Veränderung wahrgenommen?
Ich schäme mich weiterhin für Deutschland, als Teil von Europa und damit schuldig für ein entsetzliches Elend auf der Welt. Das beinhaltet, dass ich mich auch für Österreich mitschäme. Übrigens empfinde ich die 180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik als besonders peinlich.
Schorsch Kamerun: „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ Ullstein Verlag. 256 Seiten. 18,50 Euro.
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