Schimmelpfennig: Nicht schlecht, aber fad
Banale Ereignisse mit großen Folgen: Darum geht es oft bei Roland Schimmelpfennig. Was kann sich alles ereignen, wenn ein Lkw in einer Kurve Ladung verliert, und der Fahrer beschließt, dass ihm das einfach wurscht ist, weil er statt Lkw-Lenker eh lieber Verbrecher sein will?
In Schimmelpfennigs neuem, bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Stück "Die vier Himmelsrichtungen" ereignet sich viel. Aber leider tut sich wenig. Das ist das Hauptproblem dieses Stückes und dieser vom Autor selbst ausgeführten Inszenierung.
In einer Kurve am Rande einer Stadt kreuzen sich die Lebenswege von vier Menschen. In weiterer Folge begegnen sie dem Tod (das soll bei den Salzburger Festspielen öfter vorkommen). Einen macht der Tod zum Mörder, einen macht er zur Leiche, einer setzt er einen Tumor ins Gehirn, und eine lässt er verschwinden.
Das könnte - Schimmelpfennigs großartiges Theater-Händchen kennend - einen tollen Abend ergeben. So etwas wie sein Stück "Der Goldene Drache", mit großem Erfolg am Akademietheater gezeigt, bei dem sich Banales und Tragisches auf virtuose Weise verknotete.
Geheimnisraunend
Leider glaubte der Vielschreiber Schimmelpfennig diesmal den Jon Fosse in sich entdecken zu müssen. Geheimnisraunend kreist der musikalisch streng gebaute Text in ewig gleichen Motiv-Schlaufen um sich selber.
Etwa 30 Minuten lang funktioniert das gut. Danach ist das Stück streng genommen aus, ab jetzt kommen nur noch langatmige, erstaunlich geschwätzige Variationen. Und bald denkt man sich: Wenn jetzt einer noch einmal "Und er bemerkte, dass die Zeit vorüber war" sagt, dann beiß ich in die Sitzlehne vor mir.
Dazu kommt die statische Inszenierung. Es passiert, was eben passieren kann, wenn der Regisseur zutiefst vom Autor beeindruckt ist, weil sie ein und dieselbe Person sind: Der Regisseur Schimmelpfennig behandelt den Text des Autors Schimmelpfennig, als wäre es eine Beethoven-Partitur: mit zu viel Respekt.
Die Bühne (Johannes Schütz) ist eine sandige Baulücke, nur vorne liegt ein Stück Beton. Dieses dient als Rampe, auf der die Darsteller abwechselnd ihre Texte sprechen. Wie bei Schimmelpfennig üblich, gibt es keine Szenen, sondern die Schauspieler erzählen dem Publikum und einander ihre Geschichten. Durch den fast vollständigen Verzicht auf Interaktion wirkt diese Erzählweise bald sehr ermüdend.
Der Abend besteht nur aus Redundanz. Alles wiederholt sich: Sätze, Worte, Gesten. Man versteht schon, dass das so gewollt, dass das Konzept ist. Aber was hilft einem dieses Wissen? Die Aufführung wird trotzdem immer fader.
Schade drum. Denn die Darsteller sind großartig und geben alles. Ulrich Matthes spielt virtuos den kleinen Mann, der eine Ladung Luftballons findet, dadurch zum Künstler und eher versehentlich getötet wird. Andreas Döhler ist ebenso gut als Lkw-Fahrer, der sich in seiner Zweitkarriere als Mörder lebendiger fühlt.
Kathleen Morgeneyer und Almut Zilcher spielen zwei Frauen, die mit dem eigenen Verschwinden konfrontiert werden - für eine von ihnen mit tödlichem Ausgang.
Viel Zeit Am Ende waren 100 Minuten vergangen, aber noch viel mehr Zeit war vorüber.
Paradox: Das Premierenpublikum, das während der Vorstellung großteils verzweifelt geschaut und leidend geschnauft hatte, spendete am Ende sehr freundlichen Beifall.
KURIER-Wertung: *** von *****
Fazit: Viel ereignet sich, wenig tut sich
Stück
Ein interessantes Motiv: Vier Lebenswege kreuzen sich zufällig - und mitten auf der Kreuzung wartet der Tod. Roland Schimmelpfennig macht daraus leider eine humorlose, langatmige Text-Sonate. Das Stück erinnert an die schwachen Momente von Jon Fosse: stets raunend Geheimnisse versprechend, aber letzten Endes völlig geheimnislos.
Inszenierung
Der Regisseur Roland Schimmelpfennig war merkbar schwerst beeindruckt von sich selbst und inszenierte den Text mit einer fast schon drolligen, sakralen Ernsthaftigkeit, die sehr ermüdend wirkte.
Spiel
Innerhalb der Möglichkeiten des Konzepts sehr stark.
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