Sandra Bullock auf Netflix: Mit Tunnelblick durchs Schlechtwetter
Ab jetzt wolle sie nur noch Komödien spielen, ließ Sandra Bullock den US-Sender CBS Radio wissen: „Ich drehe nie wieder ein Drama.“
Tatsächlich hat Sandra Bullock dank ihrer letzten beiden Filme schwere Kost hinter sich. In dem Netflix-Hit „Bird Box“ von 2018 stolperte sie mit verbundenen Augen durch eine monströse Hölle.
Und auch ihr neuer Film „The Unforgivable“ (ab Freitag auf Netflix) strotzt vor Drama. So viel Unglück, wie die Hauptfigur Ruth Slater auf sich zieht, lässt sich kaum in zwei Stunden pressen.
Nicht zufällig handelt es sich bei „The Unforgivable“ auch um das Remake einer britischen Mini-Serie, das der amerikanische Produzent Graham King bereits 2010 in Angriff nahm. Die Produktionsgeschichte erwies sich allerdings als holprig und zog sich in die Länge. Ursprünglich hätte Angelina Jolie die Hauptrolle der Ruth Slater übernehmen sollen, doch im Jahr 2019 wurden die Karten neu verteilt. Sandra Bullock übernahm nicht nur die Protagonistin, sondern beteiligte sich auch als Produzentin.
Veronica Ferres
Doch nicht nur Sandra Bullock: Auch Veronica Ferres, hierzulande vor allem als Schauspielerin bekannt, stieg als Co-Produzentin bei der Netflix-Produktion ein. Sie war es auch, die die deutsche Filmemacherin Nora Fingscheidt ins Spiel brachte und als Regisseurin für „The Unforgivable“ vorschlug.
Fingscheidt hatte mit ihrem Spielfilmdebüt „Systemsprenger“ (2019), der von einem rebellischen Mädchen im Kampf mit dem deutschen Jugendamt erzählt, einen unglaublichen Arthouse-Erfolg gelandet. „Systemsprenger“ premierte auf der Berlinale und wurde vielfach ausgezeichnet, darunter auch mit einer ROMY für beste Kinofilm-Regie. Den Sprung über den Atlantik kann Fingscheidt als enormen Karriere-Boost verbuchen.
Ihrer Sensibilität verdanken sich auch jene Feinfühligkeiten für Milieu und Beziehungsdynamiken, die sich in „The Unforgivable“ gegen die Holzhammer-Schematik herkömmlicher Thrillerplots wehren.
Polizistenmord
Sandra Bullock spielt Ruth Slater, die wegen Polizistenmordes zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt wurde und nun wieder auf freien Fuß kommt.
Rollengerecht zeigt sich Oscarpreisträgerin Bullock komplett entglamourisiert, vergleichbar mit Kate Winslets Auftritt in „Mare of Easttown“, jedoch bei Weitem weniger charismatisch. Mit emotionstotem Tunnelblick im bleichen Gesicht stapft sie durch das nordpazifische Schlechtwetter von Seattle und wehrt jede Art von menschlicher Zuwendung ab. In ihrem neuen Quartier in einem Frauenwohnheim donnert sie die Mitbewohnerin gleich mit dem Kopf gegen die Wand, weil die in ihren Sachen herum schnüffeln wollte.
Viel Sympathie schlägt Ruth Slater aber ohnehin nicht entgegen. Als verurteilte Cop-Killerin begegnen ihr ihre Mitmenschen nur mit Hass und Verachtung. Selbst in der Fischfabrik, wo sie am laufenden Band Lachsforellen enthauptet, wird sie von aufgebrachten Kolleginnen attackiert und niedergeschlagen.
Doch Ruth lässt alles steinern über sich ergehen. Sie ist nur von einem Wunsch beseelt: Ihre kleine Schwester Katherine, die nach ihrer Einweisung ins Gefängnis als Fünfjährige zur Adoption frei gegeben wurde, wiederzufinden und den Kontakt zu ihr herzustellen.
Katherine, mittlerweile angehende Pianistin, weiß nichts von ihrer Schwester und der gemeinsamen, traumatischen Vergangenheit. Nur manchmal, im Traum, flackern für sie unerklärliche Bilder auf.
Tragischer Nachmittag
Jene Momente sind es auch, die Nora Fingscheidts filmische Handschrift am ehesten erkennen lassen. In abgerissenen Rückblenden lässt sie die Erinnerungsfragmente der beiden Frauen an ihr gemeinsames Leben und an jenen tragischen Nachmittag des Polizistenmordes aufblitzen: Ruth, wie sie kleine Schwester im Arm hält, Finger, die sich berühren, Zeichnungen auf der Haut, Haar, das im Wind weht, Feuer, Pferde.
Bereits die dreiteilige Mini-Serie, deren Episoden jeweils 45 Minuten dauerten, war mit katastrophischen Wendungen vollgepackt. Die Verdichtung auf zwei Stunden haben „The Unforgivable“ nicht sonderlich gutgetan. Vor allem im letzten Drittel überschlagen sich die Ereignisse zum Gipfelsturm auf überzogen dramatische Höhen. Kein Wunder, dass Sandra Bullock jetzt endlich wieder lachen möchte.
Schauspielerin
Sandra Bullock, Jahrgang 1964, gehört zu den einflussreichsten Frauen Hollywoods. Die Oscarpreisträgerin („Blind Side“) wurde mit dem Actionthriller „Speed“ (1994) berühmt. Eine ihrer erfolgreichsten Rollen spielte sie in „Gravity“ (2013)
Produzentin
Als Produzentin kann sich Bullock ihre Rollen maßschneidern wie „Miss Undercover“ (2000) oder „Bird Box“ für Netflix
Kommentare