Nicht jeder ist mit der Arbeit von John Cranko vertraut. Auch der britische Schauspieler Sam Riley musste sich erst einarbeiten. In dem Bio-Pic „Cranko“ (derzeit im Kino) verkörpert er eindrucksvoll das Leben des in Südafrika geborenen Balletttänzers und Choreografen, der aufgrund seines schwulen Lebensstils London verlassen musste und 1961 nach Stuttgart kam. Dort verwandelte er das Stuttgarter Ballett zu einer der führenden Kompanien der Welt.
KURIER: Mr. Riley, der Name John Cranko ist für Nicht-Ballettauskenner kein bekannter Name. Waren Sie mit seiner Arbeit vertraut?
Sam Riley: Nein. Es ist mir etwas peinlich, das zugeben zu müssen, aber ich hatte keine Ahnung, wer John Cranko war. Als ich den Titel „John Cranko“ las, dachte ich zuerst, das sei ein Actionfilm. Der Name klang wie „John Wick“. Dann habe ich ihn gegoogelt und meine Frau (die deutsche Schauspielerin Alexandra Maria Lara, Anm.) hat für mich das Drehbuch gelesen. Es war derartig lang, dass ich wahrscheinlich zwei Wochen dafür gebraucht hätte. Sie meinte, ich müsste die Rolle unbedingt übernehmen.
Was hat Sie an der Person Cranko fasziniert?
Er war nicht nur ein Genie und sehr umgänglich, sondern konnte auch ganz schön gemein werden. Zudem war er sehr ehrgeizig. All diese Aspekte fand ich interessant.
John Cranko war Kettenraucher, und Sie müssen im Film eine Menge Zigaretten paffen. Hätten Sie notfalls auch tanzen können?
Nicht, wenn ich dabei besonders großes Talent hätte zeigen müssen. Ich war sehr erleichtert, dass meine Hauptaufgaben darin bestanden, Kette zu rauchen und so zu tun, als wüsste ich, wovon ich rede. (lacht) Reid Anderson (ein Tänzer, der unter John Cranko im Stuttgarter Ballett tanzte, Anm.) war mir bei der Rollenvorbereitung eine große Hilfe. Er sagte, dass ich gehe wie ein Tänzer. Das hat mich sehr beruhigt.
Was war das Besondere und Neue an den Ballett-Choreografien von John Cranko?
So viel ich von meinen eigenen Recherchen sagen kann, hat er sehr viel Akrobatik im Sinne von Hebefiguren und Tanzbewegungen auf die Bühne gebracht. Ganz besonders wichtig war für ihn auch, dass die Tänzer nicht einfach „nur“ tanzen, sondern auch spielen. Selbst für Menschen, die gar nichts mit Ballett zu tun haben oder nicht wissen, worum es in „Romeo und Julia“ geht, können sich eine Inszenierung von John Cranko anschauen und trotzdem verstehen, was die Figuren bewegt.
Cranko galt als sensibel und oft sehr unglücklich. In der Rolle müssen Sie viel weinen. Fällt Ihnen das leicht ?
Ich glaube, ein Teil der Faszination, die wir für „gequälte Figuren“ wie Cranko empfinden, liegt darin, dass wir alle – zumindest bis zu einem bestimmten Grad – an etwas leiden. Wir können Leiden nachvollziehen. In meinem ersten Film „Control“ habe ich auch sehr viel geraucht und geweint. Das gehört zu den Dingen, die ich so tue. (lacht) Je älter ich werde, desto leichter fällt es mir. Ich stelle fest, dass ich mehr mit meinen Gefühlen in Kontakt bin. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich jetzt Vater bin. Das Weinen ist mir nicht schwergefallen. Ich musste keinerlei Tricks anwenden.
Gleich am Anfang fällt der Satz: Man muss die Schattenseiten des Lebens kennen, um kreativ sein zu können. Glauben Sie, dass es für gute Kunst Leiden bedarf?
Ich glaube, dass es sich da vielfach um ein Klischee handelt. Je länger man auf der Welt ist und je mehr Erfahrungen man gesammelt hat, desto mehr kann man als Schauspieler auf ein Reservoir der Gefühle zurückgreifen. Aber wenn ich selbst am Filmset bin, versuche ich, so positiv, entspannt und freundlich zu meinen Kollegen zu sein wie möglich. Es interessiert mich überhaupt nicht, irgendwie „schwierig“ zu sein. Doch seit dem Beginn meiner Karriere haben mich jene Schauspieler am meisten beeindruckt, die mit einer gewissen Lässigkeit an die Sache herangingen und gleichzeitig auch tolle Kollegen waren. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch gelitten hätte. (lacht) Früher wurde im Namen des Genies sehr viel schlechtes Benehmen toleriert und entschuldigt. Und auf Filmsets wird wahrscheinlich immer eine strenge Hierarchie herrschen, an deren Spitze der Regisseur steht. Aber im besten Fall ist er nicht auch gleichzeitig noch ein Diktator.
Sie leben in Berlin und sind mit einer deutschen Schauspielerin verheiratet. War das Spielen auf Deutsch trotzdem herausfordernd?
Oh ja, auf jeden Fall. Ich habe eigentlich geglaubt, dass ich ziemlich gut Deutsch kann, aber es hat mich dann doch recht viel Zeit gekostet, meine Rolle zu lernen und richtig auszusprechen. Wenn man eine Rolle in seiner eigenen Muttersprache spielt, ist man nur damit beschäftigt, emotional möglichst glaubwürdig rüberzukommen. Aber man denkt nie: „Ich hoffe nur, dass ich diese Worte richtig ausspreche“, oder: „Oh Gott, jetzt kommt gleich der Satz mit den drei Wörtern, über die ich immer stolpere.“ Das war schon eine ziemliche Herausforderung. Noch dazu glaube ich, dass ich in keinem meiner anderen Filme so viel sprechen musste wie ihn diesem hier. Das letzte Mal, als ich Deutsch sprechen musste, war in einem österreichischen Film mit dem Titel „Das finstere Tal“. Ich glaube, in dem gesamten Film habe ich nicht mehr als fünf oder sechs Sätze gesprochen (kichert). Das war ich der starke und stille Typ. Das ist mir lieber.
Was haben Sie denn für Erinnerungen an die Dreharbeiten zu „Das finstere Tal“?
Oh, daran habe ich sehr glückliche Erinnerungen. Ich bin mit Cowboy-Filmen aufgewachsen, die ich mir immer gemeinsam mit meinem Vater angeschaut habe. Ich komme aus dem nordenglischen Yorkshire und hätte mir nie träumen lassen, jemals die Gelegenheit zu bekommen, in einem Western zu spielen. Dann aber kann dieses wunderbare Drehbuch zu einem „Schnitzelwestern“ daher. Ich liebte es, mit Regisseur Andreas Prohaska und meinen österreichischen Kollegen, Tobias Moretti und den anderen, zusammen zu arbeiten. Außerdem war ich bis dahin noch nie in meinem Leben im Gebirge. Dieser Filmdreh wurde zu einer meiner glücklichsten Erfahrungen. Es war unglaublich kalt, die Pferde haben nicht immer gemacht, was sie sollten, aber ich habe es geliebt. (lacht) Und bis auf den heutigen Tag bekomme ich positive Rückmeldungen zu dem Film. Gerade unlängst war ich bei Freunden zu einer Weihnachtsfeier eingeladen, wo mir jemand erzählte, er hätte den Film zehn Mal gesehen. „Das finstere Tal“ ist ein sehr beliebter Film. Und auch das passiert nicht alle Tage.
Apropos positive Rückmeldungen: John Cranko wird als jemand beschrieben, der sehr unter schlechten Kritiken litt. Wie gehen Sie mit Kritik um?
In meinem früheren Leben, noch bevor ich Schauspieler wurde, war ich Musiker. Meine Band bekam in einer der führenden Musikzeitschriften eine der schlechtesten Kritiken, die jemals in diesem Heft erschienen sind. Unsere Plattenfirma hat uns danach praktisch umgehend fallen gelassen. Ich habe also selbst erfahren, was eine schlechte Kritik alles bewirken kann. Unser Traum von der Musikerkarriere wurde grundlegend erschüttert. Beim Film hatte das große Glück, dass mein erster Film „Control“ fast durchwegs gute Kritiken bekam. In den 15 Jahren danach habe ich gelernt, dass das nicht immer so ist. Was mich betrifft: Ich meide soziale Medien, weil ich weiß, dass es mich zu sehr beeinflussen würde, wenn ich wüsste, was die Leute über mich denken – egal ob positiv oder negativ. Ich versuche, mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, weil ich machtlos bin gegenüber der Meinung anderer. Aber natürlich, gute Kritiken mag ich immer. (lacht) Dagegen bin ich nicht immun.
John Cranko John Cranko (1927–1973) war ein in Südafrika geborener Balletttänzer und Choreograf. 1961 wurde er Leiter des Stuttgarter Balletts, das er innerhalb weniger Jahre zu einer der führenden Ballettkompanien der Welt machte. Der Film „Cranko“ erzählt von seiner Zeit in Stuttgart
Sam Riley Der britische Schauspieler (geboren 1980 in Leeds), spielte zuerst in Rockbands. Seinen Durchbruch als Schauspieler hatte er in dem Film „Control“ (2007) von Anton Corbijn, in dem er Ian Curtis, den Frontman der Band Joy Division verkörperte. Weiters bekannt wurde er mit dem österreichischen Alpenwestern „Das finstere Tal“ (2014) von Andreas Prochaska neben Tobias Moretti und Paula Beer
Was haben Sie für neue Projekte? Kommt bald etwas von Ihnen in die Kinos, worauf Sie sich freuen?
Oh ja. Das letzte Jahr war fantastisch und ich hatte zwei tolle Hauptrollen bei zwei deutschen Regisseuren. Der eine ist Jan-Ole Gerster, der „Oh Boy“ und „Lara“ gemacht hat und seinen ersten, englischsprachigen Film drehte. Darin spiele ich einen unglücklichen Tennislehrer und Alkoholiker. Ich habe endlich meine Nische im Schauspielgeschäft gelungen. (lacht herzlich) Ich würde so gerne einmal eine Komödie spielen, aber keiner fragt mich danach. Aber im Ernst, der Film heißt „Islands“ und ist großartig. Ich bin sehr stolz darauf und er sollte bald herauskommen. Und letztes Jahr habe ich auch, gemeinsam mit meiner Frau, mit einem Freund einen Film in England gedreht. Es ist ein verrücktes, experimentelles Projekt, aber mehr darf ich noch nicht darüber sagen.
Vielleicht sollten Sie tatsächlich demnächst in einer Komödie spielen?
Als mein Großvater noch lebte, konnte ich ihn immer zum Lachen bringen. Er hat nie verstanden, warum ich immer nur in so unglaublich traurigen Filmen auftrete und dann am Ende auch noch oft sterbe. Er hat immer darauf gewartet, dass ich endlich einmal in einer richtig lustigen Komödie mit viel Slapstick mitspiele. Aber darauf warte ich immer noch. Ich werde mal meinen Agenten anrufen. (lacht)
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