Jedermann: Zwischen "Triumph" und "Leichtprodukt"

APA13791508 - 21072013 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ZU APA TEXT KI - Cornelius Obonya (Jedermann) und Brigitte Hobmeier (l., Buhlschaft ) während der Fotoprobe des Schauspiels "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal am Samstag, 13. Juli 2013, am Salzburger Domplatz. Premiere am 20.7.2013. APA-FOTO: BARBARA GINDL
Der neue "Jedermann" der Salzburger Festspiele spaltet die Geister der Theaterkritik.

Der neue "Jedermann" der Salzburger Festspiele spaltet die Geister der Theaterkritik. Wird die Inszenierung von Brian Mertes und Julian Crouch auf der einen Seite als "Trimph" und "furioser Karneval" gefeiert, muss das "aufgeblasene Spektakel" und "deutungsfreie Brimborium" auch herbe Kritik als "Leichtprodukt" einstecken. "Jedermann" Cornelius Obonya wird als "brillant" gepriesen und als "luxuriöse Fehlbesetzung" bekrittelt. Im Folgenden eine Zusammenstellung österreichischer und deutscher Zeitungskritiken.

KURIER: "Sie inszenierten genau das, was da ist, wenn man den Text liest: Ein uraltes, naives, ganz simples Erlösungsmärchen, das nicht als Theaterstück interessant ist, sondern als Geschichte. (...) Die Inszenierung von Crouch und Mertes kümmert sich nicht um 'Aktualität' - wozu auch, sterben ist sowieso immer aktuell. Sie zeigen mittelalterliches Straßentheater mit einfachen Mitteln. (...) Obonya spielt den Jedermann wie ein Kind, das sich zuerst über sein schönes Spielzeug freut, dann hysterisch zu weinen beginnt und am Ende einen naiven Kinderglauben findet. Eine ungewöhnliche, aber starke Darstellung. Brigitte Hobmeier ist eine wunderbare, erotische, lustige Buhlschaft."

Der Standard: "Neuinszenierungen des Jedermann sind heikel wie Kirchenreformen. Im 'Spiel vom Sterben des reichen Mannes' steckt ein Glaubensinhalt. Wer diesen leugnet, sollte das Spektakel am Domplatz nicht generalüberholen, sondern absagen: 'Wegen Atheismus geschlossen!' (...) Die neue, kunstgewerbliche Darbietung auf dem Domplatz ist darum ein Leichtprodukt: Die Fettanteile sind radikal gesunken. Man muss den lieben Gott nicht mehr fürchten. (...) Obonyas Hofmannsthal-Figur ist auf der Höhe unserer Zeit. Sie passt nur leider gar nicht in das Spiel auf dem Domplatz. Ihr fehlt alles Auftrumpfende und Genießerische. Obonya ist so etwas wie die luxuriöse Fehlbesetzung des Abends."

Die Presse: "Die Rückführung ist bestens gelungen - ein Theaterabend mit beeindruckender Bildsprache, ausreichend Ernst im zuweilen ausgelassenen Spiel und vor allem mit einem wunderbaren Ensemble, das nie vergessen lässt: Dieser 'Jedermann' lebt, er belehrt, unterhält und rührt. Kurz, ein Triumph. (...) Cornelius Obonya ist ein ebenbürtiger Nachfolger seines Großvaters Attila Hörbiger, er steigert sich sogar auf dem Weg vom Lebemann zum Leidensmann und dominiert die Szenen allein mit seiner prächtigen Stimme, die bei all dem Plakativen dieser Verse so viele Zwischentöne erzeugt."

Salzburger Nachrichten: -"In den folgenden zwei Stunden zieht er (Obonya, Anm.) alle Register seiner Darstellkunst – von sanft bis tobend, vom schrillen, gicksenden oder grölenden Lachen bis zum reuigen, bitterlichen Weinen. Brillant! (...) Doch bei all diesen Stärken gibt es auch Schwachpunkte. Oft mangelt es an symbiotischem Zusammenspiel, oft bleiben die Schauspieler Solitäre und halten Doppelmonologe statt Dialoge. (...) Eine weitere Schwäche offenbart sich in den letzten Szenen um die großen Fragen: Was ist Erlösung? Wann und warum ist Vergebung gerecht? Da wird Hugo von Hofmannsthals Text teilweise nur brav bebildert."

Kronenzeitung - "Es ist eigentlich ein aufgeblasenes Spektakel daraus geworden, das eher die Schaulust des Publikums befriedigt, aufgeplustert mit Puppenspiel, Tanz, 'himmlischen' Klängen und Volksmusik vom Balkan. (...) Denn mit ihm (Obonya, Anm.) und seinem Versuch, in die Tiefe zu dringen, erkennt man das Manko der neuen Inszenierung: Alles bleibt an der Oberfläche, wirkt behübscht und scheint auf die Schaulust zu zielen."

Kleine: "Wie erwartet haben Brian Mertes und Julian Crouch, das amerikanisch-britische Regieduo dieser Neuinszenierung, dem 'Jedermann' die Schlacken abgekratzt, sein Pathos auf fast homöopathische Dosis verdünnt. (...) Die Klammer dieser eindringlichen, mitunter burlesken Inszenierung, in der viel musiziert wird und die Bühne ein paar Mal zum Dancefloor mutiert, bleiben jedoch Jahrmarkt, Fasnacht, Wanderzirkus."

Hamburger Abendblatt: "Dieser 'Jedermann' will ein barocker Vanitas-Spaß sein. (...) Den allegorischen Firlefanz nehmen die beiden Regisseure nur so weit ernst, als sich daraus poetische Bilder schlagen lassen, und wenn sie es tun, wird diese Inszenierung zum großen Kino. (...) Wenn es Brian Mertes und Julian Crouch um schlichte Unmittelbarkeit gegangen ist, dann haben sie dieses Ziel erreicht, und den 'Jedermann' auf eine Weise entstaubt, die für Salzburger Verhältnisse atemberaubend ist."

Süddeutsche Zeitung: "Nominell ist die Wahl von Mertes und Crouch eine Verheißung, und man glaubt, Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf sei ausgerechnet beim Salzburger Heiligtum ein Wagnis eingegangen. Doch am Schluss ist man völlig verblüfft über die monströse Naivität der Inszenierung - und auch wieder im Reinen mit Bechtolfs Theaterauffassung, die der eines staunenden Kindes gleichkommt (wogegen erst einmal nichts zu sagen wäre, wäre das Kind auch ein bisschen unerzogen). (...) Am Ende muss Jedermann nur 'ich glaube' brüllen, und seine Sache ist geritzt. Dafür das ganze, letztlich ironie- wie deutungsfreie Brimborium?"

Frankfurter Rundschau: "Der Amerikaner Brian Mertes und der Brite Julian Crouch, das erste 'Jedermann'-Regie-Duo, noch dazu die ersten nicht-deutschsprachigen 'Jedermann'-Regisseure in Salzburg, liefern ein gediegenes Ausstattungstheater ab. (...) Insgesamt ist das kein zukunftsweisender, aber ein unlänglicher, dabei trotz leichter Verspieltheiten ohne einen Funken von Ironie auskommender Abend."

FAZ: "Am Domplatz des Jahres 2013 ist es bunt wie lange nicht, man kriegt viel zu sehen und kann so auch ein wenig den gestelzten Text mit all seinen 'nits', 'sänftlichs und 'böslichs' vergessen. (...) Seit 1920, mit Ausnahme der Jahre, als Österreich Teil des Großdeutschen Reiches war, gehört 'Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes' zur Grundausstattung der Salzburger Festspiele. Es ist halt doch ein Stück Österreich, und so konnte man ausgerechnet mit diesem verkitschten Mysterienspiel demonstrieren, dass man aber schon rein gar nichts mit jener unseligen Zeit zu tun hatte."

taz: "Unbeeinträchtigt vom Zynismus der Salzburger Insider, der die äußeren Formen wahrt und dem die Inhalte erklärtermaßen 'wurscht' sind, nimmt das britisch-amerikanische Regieduo Julian Crouch und Brian Mertes Hofmannsthals Verse ernst und verwandelt eine sonst eher fade Tischgesellschaft in Renaissancekostümen in einen furiosen Karneval mit Turbo-Folk, Puppen, Schwellköpfen und grotesk-barocken Bildzitaten. (...) Jedermanns Blässe hingegen kommt nicht nur von der Einsicht in seine Sünden. Cornelius Obonya bleibt auch bei allen Ambitionen und unangefochtenem Handwerk der blinde Fleck im Projekt. Müsste man diesem Jedermann die Beichte abnehmen, die Absolution käme schwer von den Lippen."

Die neue Inszenierung in Bildern

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